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Präludium

Mein Blick war getrübt, aber es reichte, um das Blut zu sehen. Es lief den polierten Stein hinab und glitt die Stufen hinunter. Mein linker Arm lag auf den Stufen und der warme Lebenssaft zog Linien darüber, um sich mit der Lache auf dem Boden zu vermischen. Zwei Stufen waren es nur, aber der Boden war für mich unglaublich weit weg. Ich hatte das Gefühl, dass ich in die Tiefe fallen könnte, wenn mein Körper nicht flach auf dem steinernem Boden gelegen hätte. Aber soweit ich es noch spüren konnte, ragte nur mein Kopf und mein Arm über die Kante. Ein paar rote Haarsträhnen von mir hingen in der Blutlache und es sah aus wie Wurzeln eines Baumes, die in einen trüben See hineinragten.

Das leise Tropfen der roten Flüssigkeit war für mich das einzige Geräusch, welches noch an mich herankam. Es war mein Lebenspuls, meine Hoffnung. Denn alles andere war dumpf, als würde mein Kopf unter Wasser sein und an der Oberfläche irgendetwas passieren. Ich konnte Stimmen nicht von Geräuschen unterscheiden. Also schlugen sich die Männer mit Worten und schrien sich mit Metall an und ich wusste nicht mal aus welcher Richtung die Geräusche kamen, die auf dem Weg zu meinem Bewusstsein verschluckt wurden.

Keiner meiner Muskeln zuckte und die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Das Blut floss immer langsamer und bald schon konnte ich einen einzelnen Tropfen dabei beobachten, wie er sich langsam an meinem Daumen wölbte, immer größer wurde und schließlich von der Schwerkraft durch die Luft gezogen wurde, um langsam hinab zu fallen. Als der Blutstropfen schließlich in der Lache aufprallte, wölbte diese sich nach innen und zersprang in viele kleine Tropfen, die ihrerseits wieder hineinfielen. Für einen Moment in dieser gedehnten Zeit sah der Aufprall des Tropfens aus wie eine blutige Krone und erinnerte mich an etwas:

Ich spürte das Gewicht des Metalls auf meiner Stirn, wie nie zuvor. Denn es war nicht nur das Gewicht der Krone selbst, sondern auch die Bürde, die ich damit herumschleppte. Die drei Metalldornen, die fest an meinem Kopf angelegt waren, klammerten sich wie eine Tigerpranke an mir fest, die meinen Schädel gleich zerquetschen würde. Das schwarze, glanzlose Metall band meine rote Mähne zusammen. Genauso wie meine Gedanken, meine Entscheidungen und schließlich mein Schicksal. Drei Dornen ragten von meinem Kopf auf, zwei flankierten mein zeitloses Gesicht und der dritte schützte meinen Hinterkopf.

Mein Blick hing noch immer starr auf der Blutlache, konnte ich doch nicht einmal die Augen bewegen. Ich fühlte mich wie gefangen in meinem bewegungslosen Körper. Dieser Körper, den ich nicht mehr spürte. Kein Schmerz, keine Angst und kein Kribbeln in den Fingerspitzen, die langsam blau anliefen.

Nur eine Frage beschäftigte mich noch bohrend:

Wäre es anders geendet, wenn ich mich anders entschieden hätte?

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