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12.05.1999

12.05.1999

Raziel blickte aus dem Fenster, der andere Passagier in dem Waggon starrte sie die ganze Zeit an, sie wollte nicht darauf reagieren, keine Angriffsfläche bieten. Das änderte nur nichts daran, dass sie sich unwohl fühlte… und schmutzig. Der ganze Dreck, ihre geschundenen Füße, irgendwelches Blut das scheinbar nicht ihres war – hatte sie doch keinerlei Verletzungen – all das machte ein skuriles Gesamtbild aus ihr.

Es war noch immer dunkel draußen und es war Jahrhunderte her, als sie sich das letzte Mal den Tag herbeigesehnt hatte. Das bedrückende Gefühl, man verfolgt sie noch immer, war greifbar. Die Nosferatu wussten um ihren Zustand und das war richtig beschissen. Bald würde es die ganze Vampirgesellschaft Hamburgs wissen. Wo sollte sie also hin? Ein kurzer Blick vom Fenster weg zu dem Typen am anderen Ende des Zuges – er hatte sie noch immer mit dem Blick fixiert. Ein kalter Schauer lieft ihr über den Rücken und sie wandte sich schnell wieder zum Fenster.

Hast dus also auch endlich mal gemerkt.

Markus saß auf der Lehne der Bank, die Schuhe auf der Sitzfläche und hatte seinerseits den Passagier fixiert. Ein Bein von ihm lehnte an Raziels Schulter, nahm nur wenig Anspannung von ihr.

„Wieviel Hunger er wohl hat…“, flüsterte sie als Antwort.

Hunger? Wach auf! Der liebt es einfach zu jagen. Ich hätte dich nicht für so naiv gehalten.

Raziel legte ihre Hand auf sein Knie, für den Vampir im Waggon sah es so aus, als wenn sie den Arm um sich schlingen würde, ihre eigene Schulter anfassend. In diesem Moment fuhr der Zug in den Tunnel. Raziel hob den Blick, die Lichter flackerten. Markus kniff seine Augen etwas zusammen.

Sag mal hast du süßes Blut oder sowas? Dreckige Mücke…

Dann kam, was kommen musste, das Licht ging aus und für ein paar Atemzüge war der Waggon in völlige Dunkelheit gehüllt. Raziel spürte das Bein von Markus nicht mehr und  sie spürte wie ihre Glieder ihr den Dienst versagten, sie konnte sich nicht rühren. Angst. Sie spürte wie das Blut durch ihren Hals pochte und fuhr sich darüber. Sie wusste selbst was für einen Reiz das Blut ausmachte und fühlte sich umso schlechter – denn für sie selbst war es noch viel Lebenswichtiger.

Sie spürte eine kalte, fremde Hand in ihrem Nacken, eine zweite legte sich um ihren Mund. Dann ein Ruck, dass sie Angst hatte ihr Genick würde bersten und zwei heiße Dolche in ihrem Hals mit dem Ziel ihre Hauptschlagader zu verletzen. Schmerz!

Raziel bäumte sich auf und schrie, auch wenn die Hand fest auf ihrem Mund saß, konnte man etwas davon hören. Der Griff des Vampirs war kräftig, hatte sie wie einen Schraubstock im Griff. Der Biss schmerzte, es zog sich durch den ganzen Körper. Keine Ekstase, nur tödlicher Schmerz. Raziel schlug wild um sich, sofern sie ihn erreichen konnte, war er doch hinter ihr. Doch als sterbliches Mädchen im Alter von 16 Jahren war es nicht weit her – trotz den Kämpfen die sie vor Jahrhunderten bestritten hatte – er war einfach zu stark. Verfluchter Giovanni!

Das Licht ging wieder an, es flackerte noch und darin spiegelten sich die Silhoutten der beiden Personen wieder – sie um ihr Leben kämpfend und er um ihr Blut zu schmecken – aus purer Freude am Trinken.

Dann ein Knall, die Lampe über den beiden zerbarst. So heftig, dass die Plastikabdeckung schmolz und heiße Teile davon rieselten in einem Funkenregen auf den Vampir herunter. Sein Haar sengte an und auf der Haut bildeten sich sofort verkohlte Stellen. Er ließ von Raziel ab, ließ sie liegen wie ein  Spielzeug, das keinen Wert mehr hatte.

Und  zuckte zusammen als ihm der Geist bewußt wurde, der auf einmal vor ihm stand. Eine weitere Lampe zerschellte über dem Kopf des Giovanni und er stolperte eien Schritt zurück, die heißen Teile brannten Löcher in ihn. Umso weiter er zurückging, umso mehr Lampen gingen kaputt, einzig mit dem Ziel ihn schmerzhaft zu vertreiben.

Als der Vampir auf italienisch fluchend am anderen Ende des Waggons stand, starrte Markus ihn noch immer an. Die Geistergestalt pulsierte rötlich und der Blick allein konnte Sterblichen den Tod vor Angst rauben. Er stand unmittelbar neben der Bank, auf der Raziel lag. Sie rutschte daran herunter und blieb ohnmächtig auf dem Boden liegen. Viel Blut war ihr geraubt worden, von den Schmerzen ganz zu schweigen… und sie blutete immernoch.

Die Scheiben des Waggons zersplitterten.

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