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Adhen

Eilig ließ ich mich die Düne herabrutschen, der Sand der dabei aufgewirbelt wurde, stieg mir in die Nase und ich nieste ein paar Mal so laut, dass sich das Echo seinen Weg durch die ganze Wüste bahnte. Stillschweigend stand ich da, am Fuß der Düne, abwartend was passieren sollte; lange sollte ich nicht warten. Kleine Punkte erhoben sich am Horizont.

Wie aus dem Nichts tauchten sie auf, nicht nur um das Feuer herum, sondern plötzlich sah ich sie überall, wie die Erdmännchen schossen sie aus dem Boden. Einige von ihnen hielten Speere in ihren Händen, andere etwas ganz anderes.

Sie kamen näher und ich wollte zurück zu Anteriel um ihn zu wecken, um ihn zu schützen. Doch als ich mich umdrehte standen zwei dieser Gestallten vor mir. Es waren Menschen, aber sie waren nicht wie Anteriel. Sie waren groß, hatten eine dunkle Haut -selbst in dem wenigen Licht, welches die Nacht hier draußen spendete, konnte ich unterscheiden ob die Haut heller oder dunkler war, Anteriels Haut war so blass, dass sie sogar im Schein von Glühwürmchen hell schimmerte-, ihre Kleider bestanden aus einem eigenartigen Stoff, ich fragte mich, ob es überhaupt Kleidung war, die sie da trugen.

Die Männer trugen Röcke, bis zu den Knien reichten sie und der Oberkörper war frei, Frauen konnte ich keine entdecken. Ihre Gesichter waren streng und verformt. Ihre Wangen waren eingefallen, das Kinn seltsam lang gestreckt, aber es schien nicht daher zu kommen, dass diese Menschen zu wenig Nahrung zu sich nahmen, es war einfach ihr aussehen.

Einer der beiden Männer hielt den Speer mit ausgestrecktem Arm mir entgegen, die Spitze des Speers zielte auf meine Brust, hinter mir hörte ich Schritte und durch das Aufkommen eines Lichtkegels, ging ich davon aus, dass sich Fackelträger von Hinten näherten. In dem aufkommendem Licht, sah ich ein gelbliches Funkeln in den Augen der beiden Männer die vor mir standen, und mich finster aus diesen ansahen.

„Wer seid ihr?“

Etwas Besseres fiel mir nicht ein, ich versuchte unbeeindruckt -was ich auch war- zu bleiben, sah den Mann vor mir nur weiterhin eindringlich an und wartete.

Ich hoffte, dass es nicht zu eindringlich war, ich wollte mich sicherlich nicht mit einem ganzen Stamm anlegen, wenn die etwas falsch verstehen sollten.

Dann gab der rechte der beiden Männer etwas von sich, was mehr einem Grunzen ähnelte als gesprochener Worte und trat daraufhin einen Schritt vor. Im Gegensatz zu den Anderen die ich im Schein der Flammen sehen konnte, hatte dieser keinen Speer in der Hand. Was mich aber nicht wirklich erleichterte.

„Nehmt diesen Raman gefangen… Ahlas!!!!“, schrie der Mann in einer mir fremden Sprache, es war sicherlich nicht die Sprache der Menschen, auch keiner der Dialekte, welche die Sintreas oder Calas sprachen. Es war etwas Anderes, und es hörte sich nicht freundlich an.

Mein nächster Gedanke ging an Anteriel, dort hinter der Düne war er schlafend eine leichte Beute, wenn sie ihn nicht schon längst gefangen genommen hatten.

Ein paar der Männer kamen mit ihren Speeren auf mich zu und ich wusste erst nicht was ich tun sollte. Sie riefen sich gegenseitig für mich unverständliche Dinge zu und warfen mir grausame Blicke entgegen. Ich wusste nicht, was ich ihnen getan haben sollte und woher sie wussten, dass ich ein Raman bin, aber sie durften mich auf keinen Fall zu fassen bekommen. Wie aus einem Reflex heraus, erhob ich meine Hand und einer der Männer fiel zu Boden. Ein Wirbel aus Sand und Staub hob sich empor, dann spürte ich es wieder, dieses alte Gefühl von Begeisterung. Einer nach dem Anderen fiel, ich setzte meine Magie zurückhaltend ein, meine Kräfte schwanden schnell, doch ich musste diese Unmenschen davon abhalten, Anteriel gefangen zu nehmen. Er war der Gefangenschaft doch gerade erst entkommen…

Einer der Angreifer rammte sich beim Sturz seinen eigenen Speer in den Schädel. Es tat mir leid, ich wollte nicht mehr töten, wenn es nicht unbedingt sein musste.

Ich rannte die Düne hoch und wollte zurück zu Anteriel, doch mit Entsetzen musste ich feststellen, dass nichts von dem Lager mehr übrig war. Er war weg, ich konnte noch den Fackeln hinterher blicken, von den Männern die meinen Freund auf ihren Schultern durch die Wüste trugen. Dann musste ich mich auch schon um meine Angreifer kümmern.

Sie trieben mich bis zur Weißglut, nur selten konnte ich ihren Stichen und Schlägen ausweichen, sie waren schnell, Meister im Kampf, ohne Magie war es unmöglich sie alle zu besiegen. Aber ich war zu schwach, für Anteriel hatte ich meine letzten Reserven verbraucht.

Ich ging durch einen Schlag in den Nacken zu Boden. Ich hörte noch, wie sie sich um mich scharrten und aufgewühlt über irgendwas diskutierten, selbst wenn ich ihre Worte verstanden hätte, ich hätte sie nicht mehr einordnen können. Dann wurde alles Schwarz.

Es war ein Licht, hell und so wunderschön. Ich konnte die Flügel des Erhabenen sehen, ich fühlte mich unsagbar frei. Für einen kurzen Moment vergaß ich wer ich war, Vergangenheit und Zukunft schienen an diesem Punkt zu verschmelzen und die Gegenwart als nichtig zu erklären. Ich zog mir die Kapuze vom Kopf, zaghaft ging ich ein paar Schritte weiter, bis ich vor dem großen Lichtkegel stand, es war eine Kugel aus Glas.

Ich spiegelte mich darin, sah wie meine Narbe sich in dem Glas spiegelte und leicht zu glühen begann. Meine rechte Wange fühlte sich warm an, ja sie brannte gar.

Sie ist alles gewesen, was ich aus meinem früheren Leben mitgenommen hatte, eine Narbe. In einem Kampf, der mein Schicksal besiegeln sollte, zog ich sie mir zu, eine Wunde, die mir mein eigener Bruder zugefügt hatte. Auf ewig sollte sie mich daran erinnern, wer ich einst gewesen bin.

Als ich näher an die Kugel heranging und in das Glas sah, konnte ich etwas Sonderbares sehen. Meine Augen.

Aber es waren nicht jene Augen, die ich sonst in der Spiegelung auf dem Wasser sah, wenn ich mich morgens an einem kleinen Bach erfrischte, es waren nicht dieselben grauen Augen. Sie waren grün, so wie einst, als ich noch in Zandia lebte.

Ich erinnerte mich wieder, ich war ein kleiner blonder Junge gewesen, mit einer Flöte. Ich hatte grüne Augen und helle rosa Lippen. Ich sah mich in der Kugel als achtjährigen Buben, der mich keck angrinste. Dann bewegte sich etwas neben mir und ich war überrascht, als ich mich mit einer selbstverständlichen Gleichgültigkeit umdrehte, völlig ohne Angst.

Ich sah einem Engel in die Augen. Er hatte seine Flügel eng um seinen Körper gelegt, so betonten sie seine schlanke Figur. Die braunen Locken hangen ihm über den Schultern und er sah mich mit einem freundlichen, warmen Lächeln an. Ich stand einfach nur da, nicht in der Lage mich zu bewegen, nicht in der Lage zu denken. In meinem Kopf war ein Gewirr aus Gedanken aus denen sich auf einmal einer herausfilterte. Der Gedanke an Tia. Thazyria. Ich sah ihr blondes Haar vor mir, ihre weißen freundlichen Augen, das rote Lächeln. Ich dachte wieder an die Zeit, als wir uns aufmachten die Wälder zu verlassen und nach Wookror gingen. Wo ich dann meine Herrschaft über das Land antreten sollte. Wir waren frei.

„Meister“, sagte der Engel plötzlich und sah mich weiter mit diesem nichts sagenden Lächeln an.

„Meister, ihr müsst aufwachen“.

Ich spürte, wie der Boden unter mir begann sich aufzutun und die Welt um mich herum bebte. Ich schloss meine Augen, es war so absurd, warum redete ein Engel mit mir? Ich war ein Abtrünniger. „Meister, macht die Augen auf, bitte, wir haben keine Zeit!“.

Ich öffnete die Augen, dann alles war dunkel. Seltsam. Heute kann ich nicht mehr sagen, warum ich diese Frage für wichtig hielt, aber ich wollte wissen, warum es hell war wenn ich die Augen schloss und dunkel wenn ich sie öffnete. Und wenn ich nicht eine Hand auf meiner Schulter gespürt hätte, wäre ich von dem Gedanken nicht mehr los gekommen.

„Den Unzel sei Dank, Meister ihr lebt!“

Ja, ich war am leben, mehr als jemals zuvor, als ich Anteriels Stimme hörte. Ich versuchte langsam aufzustehen und Anteriel stützte mich unter der rechten Schulter, mit der linken Hand hielt ich mir vor die Stirn, mein Kopf schmerzte höllisch.

Zwischen meinen Augen pochte es heftig und mein Nacken war verdammt steif. Am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen, zurück in das helle Licht gegangen und hätte mein Spiegelbild betrachtet. Das tat nur in der Seele weh- dies war erträglicher als diese Schmerzen in meinem Kopf.

Anteriel hievte mich gegen eine Wand, an die ich mich lehnen sollte um erstmal zu Sinnen zu kommen. Was mir aber nicht all zu schnell gelingen wollte.

Ich starrte in ein Zwielicht, welches nur sehr wenig meiner Umgebung preisgab.

Etwas verschwommen sah ich in Anteriels blaue Augen und wandte meinen Blick dann um. Es war anscheinend eine Hütte aus grob geschnitzten Brettern und Lehm, den diese seltsamen Menschen wohl der Wüste entnahmen. Es gab nichts, was auf irgendwelche Möbel hindeuten konnte, nur eine kleine Pritsche an der Linken Wand und ein abgesägter Baumstumpf, der als Stuhl diente.
Ein kleines Feuer in dem Raum sorgte für das spärliche Licht, im Normalfall hätte mir dies nichts ausgemacht, sondern eher zugesagt.

Meine Augen sind zwar recht Lichtempfindlich und ich hätte mich in diesem Zwielicht wunderbar zurecht finden müssen, doch irgendwie wollten meine Augen mir nicht mehr gehorchen und zeigten mir alles hinter einem Vorhang aus weißem Nebel.

Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Nacken, als ich mich wieder Anteriel zuwendete. Als ich ihn fragen wollte, was geschehen ist und wo wir hier sind, konnte ich nur ein leises Stöhnen hören, dass ich von mir gab. Ich tastete meine Lippen ab, ich spürte zwar nichts besonderes, doch Anteriel sah mich nervös an.

„Herr, es ist keine weise Entscheidung jetzt etwas zu sagen. Besser ihr ruht Euch noch etwas aus.“

Die seltsame Besorgnis in Anteriels Stimme gab mir zu denken und ich führte einen Finger an meinen Mund. Es kostete mich viel Kraft, ich war völlig ausgehungert. Ich brauchte Blut, ansonsten sollte ich es nicht mehr bis nach Igala schaffen. Aber das sollte meine kleinste Sorge sein. Am liebsten hätte ich laut los geschrieen, nachdem ich meinen Finger die Zahnreihen entlang geführt hatte.

Sie waren abgebrochen, meine Fänge wurden grob abgebrochen und hinterblieben waren nur noch scharfkantige Stumpfen, die kaum länger als meine Schneidezähne waren. Ich spuckte einige Zahnsplitter aus und sprang auf. Wut kochte in mir auf und beinahe wäre ich über Anteriel hergefallen, der sich schon hinter der Pritsche in Sicherheit gebracht hatte.

„Meister! Beruhigt Euch Herr!“

„Ich soll mich beruhigen?!“

Ich schrie den armen Menschen an, dieser er zuckte heftig zusammen. Man konnte ihm seine Angst ansehen. Die großen Augen wurden ganz glasig und er zitterte am ganzen Leib und die Pritsche mit ihm. Ich hatte meine Hand erhoben, ich wollte ihn töten, ich brauchte irgendwen an dem ich meine Wut auslassen konnte. Denn was war ich denn nun noch? Ein verstoßener Verstoßener ohne seine Reißzähne und damit ohne Würde.

Aber hatte ich diese jemals gehabt, war die Tatsache, dass ich einst einen ganzen Kontinent unterdrückte, nicht entwürdigend genug? Es war der falsche Augenblick über so etwas nachzudenken, es hätte meine Wut nur noch gesteigert und dabei brach es mir das Herz den kleinen Mann so eingeschüchtert und der Todesangst nah zu sehen.

Ich musste wegsehen um meine Wut wieder unter Kontrolle zu bringen, er würde es verstehen, dachte ich mir, er nimmt es mir nicht übel.

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