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Adhen

Im nächsten Augenblick spürte ich, wie mein Kopf wieder freigegeben wurde und als ich mich umsah, knieten all diese Wilden auf dem Boden, nur einer nicht, doch der sollte nie wieder niederknien, denn er war tot.

Leblos sackte der gebrechliche Körper des alten Schamanen über meinen Beinen zusammen und sich sah die Feder eines Pfeils im Licht der Flamen schimmern. Auf einmal brach ein entsetzliches Gebrüll, es klang wie der Aufschrei eines Säbelzahntigers, nachdem er von einem Speer verwundet wurde, die Stille die bis zum jenem Moment herrschte und ich konnte aus den Augenwinkeln erkennen, wie die Krieger die zuvor auf dem Boden knieten, nun wie die Hühner aufgescheucht umher liefen.

Wären meine Kräfte nicht schon vor Stunden immer mehr geschwunden und diese Fesseln nicht zu fest gewesen, hätte ich versucht mich mit einem letzten Aufbäumen zu befreien, bevor ich mich den Angreifern, zwar hilflos aber dafür ehrenhaft, gestellt hätte.

Aber dies war auch nicht nötig.

Voller Verwunderung vernahm ich, wie der Körper des Alten von mir herabgestoßen wurde und sich die Fesseln um meine Gelenke lösten. Sofort sprang ich, durch den Aufschrei meiner geschundenen Glieder getrieben, auf und wollte meinem Befreier den Kopf abreißen. Doch im letzten Moment stockte ich und mir ward, als wenn ich doch noch in einem Traum gefangen wäre. Noch an einer Fußfessel beschäftigt, sah mir Anteriel aus seinen klaren, großen blauen Augen entgegen und lächelte mich an, „Anteriel…“, ich war überwältigt, von der Treue des kleinen Mannes.

„Ja Meister, das hättet ihr nicht gedacht, wie? Ich bin zurückgekehrt, konnte euch ja schließlich nicht einfach eurem Schicksal überlassen, obwohl ihr nicht sonderlich nett zu mir gewesen seid.“

Tiefe Schuldgefühle stiegen in mir auf, doch bevor ich etwas sagen konnte, hatte Anteriel meinen Fuß auch schon befreit und ging bereits ein paar Schritte zur Seite. Jetzt erst viel mir seine sonderbare Bekleidung auf. Er trug ein Blaues Cape, welches ihm bis zu den Zehen reichte, sein Haar war zu einem Zopf geflochten und eine goldene Spange zierte diesen. In der rechten Hand hielt er einen arfejischen Krummsäbel und sein Bart war verschwunden.

„Kommt Meister, ich habe Freunde mitgebracht, bald wird von diesem seltsamen Dorf nichts mehr übrig sein und wir werden weiter ziehen können, dieses Mal aber mit schützendem Geleit!“.

Der kleine Mann grinste bis über beide Ohren und ich nahm diese Gelegenheit nun wahr, um mich umzusehen, zu sehen, was um mich herum vor sich ging; es war ein gleichermaßen erschreckender wie auch erfreulicher Anblick. Wie ich richtig angenommen hatte, saß ich auf einem Altar aus Felsgestein gehauen, dieser wiederum stand auf einem kleinen runden Platz inmitten einem Kreis von mehreren, auf diesem unebenen Wüstensand sehr präzise aufgebauten, Lehmhütten und um mich herum herrschte Chaos.

Dutzende dieser wilden Menschen liefen umher, riefen Dinge in ihrer Sprache, die sich wie Hilfeschreie anhörten, überall lagen bereits die Leichen gefallener Krieger verstreut, alle durch Pfeile niedergestreckt, die nun triumphierend aus Brust und Hals sich erhoben.

Immer wieder ging ein Schwarm Pfeile in die Runde der umherlaufenden Menschen nieder und weitere fielen, bald sollten wirklich keine mehr von ihnen übrig bleiben.

Ich erschrak, als ein junger gelbhäutiger Mensch plötzlich vor mir niederkniete, die gelben Katzenaugen sahen mich flehend nach Erlösung an, eine silberne Pfeilspitze ragte vorn aus seinem Hals heraus und ich hörte ihn röcheln, sein Atem ging immer schneller, bis plötzlich Anteriel sein Schwert dem Jungen durch die Brust jagte und ihn zur Seite stieß.

„Eilt euch Meister, wenn ihr nicht auch so enden wollt, wie diese abscheuliche Kreatur hier!“ Anteriel deutete auf den Jungen vor meinen Füßen und dann prasselte bereits ein weiterer Schwall Pfeile auf das Dorf herab. Schnell sprang ich vom Altar, noch gerade rechtzeitig, denn einer der Pfeile schlug mit einer solchen Wucht auf dem Altar ein, dass er mit seiner Mythrillspitze im Felsgestein stecken blieb.

Ich war erschrocken, noch nie hatte ich Anteriel so reden gehört und ich begann mir Vorwürfe zu machen, dass die Zeit in den Kerkern des Bluttempels und an meiner Seite, doch ihre Spuren hinterlassen hatte.
Aber darüber sollte ich mir später Gedanken machen, wenn ich in Sicherheit war, doch ich kam nicht vorwärts, so wie ich auf dem Boden landete, auf allen vieren, so hockte ich weiter da und konnte mich nicht erheben, meine Kräfte hatten mich endgültig verlassen.

Der Mut des kleinen Menschen wäre völlig umsonst gewesen, hätte ich nicht schnellstens etwas zu Trinken bekommen; ich meine damit Blut, ohne dieses, war mein Ende nah gewesen.

Anteriel bemerkte meine Verfassung und half mir aufzustehen, kraftvoll griff er mir unter die Arme und hievte mich auf seine rechte Schulter, legte einen Arm um mich und humpelte so mit mir davon, raus aus diesem belagerten Dorf. Wir kamen an schreienden Barbaren vorbei, die in ihrem Todeskampf noch immer versuchten ihr Ziel zu erreichen und stürzten sich auf mich, doch Anteriel streckte auch diese mit seiner Arfejiaklinge nieder.

Immer schneller kamen wir voran und unsere letzten Verfolger wurden von einem weiteren Pfeilhagel gestoppt, ich sah noch einmal zurück und blickte auf ein Beet von Leichen hinter uns, keiner einziger schien überlebt zu haben.

Anteriel schleppte mich zwischen den Hütten her, sie hatten Seitenfenster eingehauen und aus einer der Hütten sahen mich ein Paar ängstlich drein blickender Augen an, ich sagte nichts zu Anteriel und wir gingen weiter.

Als wir dieses „Dorf“ verließen, kamen wir auf eine weite Düne an deren Fuß eine kleine Oase lag und an den Rückwänden der Lehmhütten sah ich viele kleine Gestallten umherlaufen, sie alle hielten weiße Bögen in ihren Händen und schossen noch einen letzten Pfeilhagel auf das Zentrum des Dorfes, bis sie die Bögen schließlich senkten, ihre Kapuzen über ihre Häupter legten und sich allesamt zu uns herumdrehten und aus kalten, grauen Augen ansahen, die im Licht des halben Lunares hell leuchteten, der nur sehr wenig davon abgab, während sich sein großer roter Bruder im Westen verkroch.

Ich sank zusammen, als Anteriel mich vorsichtig abließ um näher an die Arfejia heran zu gehen, ich selbst war nicht mehr in der Lage gewesen, irgendein Gespräch zu führen.

Nicht einmal den Dank für meine Rettung konnte ich mehr aussprechen; die Welt um mich herum verschwamm in einem leichten Rot, indem die Umrisse des Menschen und der Arfejia immer undeutlicher wurden.

Ich versuchte meine Blicke zu schärfen, aber es gelang mir nicht und ein unbändiges Verlangen stieg in mir auf, ich war nahe dem Blutrausch. Ich hörte Stimmen, auch wenn sie nicht weit entfernt sein konnten, so hörten sie sich an, als wenn jemand vom Ende eines langen Tunnels her rufen würde, meine Hände vergruben sich um krustigen Wüstenboden, ich spürte wie Blut an ihnen herab floss, als sie tiefer in den sandigen Boden eindrangen und sich dabei aufschürften.

Dann auf einmal stieg mir ein süßlicher Geruch in die Nase, mir schwanden die Sinne, alles drehte sich und ich schlug mit den Händen um mich und ergriff etwas kaltes, es war eine kleine Flasche.

Der Geruch wurde immer betörender und ich verlor die Kontrolle über mich selbst, ich zerbrach die Flasche in meinen Händen und hielt diese dabei über meinen Mund und spürte, wie das süßliche und kostbare Elixier meine Lippen benetzte, meinen Rachen herab lief und wie es in meinem Inneren landete und sofort eine angenehme Wärme in mir verbreitete.

Als der letzte Tropfen von meinen Händen tropfte, ließ ich sie sinken und die Scherben fielen zu Boden.

Ich hatte mein eigenes und ein seltsam wohlschmeckendes Blut getrunken. Nur wenige Sekunden, nachdem ich sah, wie die Scherben zu Boden fielen, sah ich wieder schärfer, ich hörte wieder, dass die Stimmen von Anteriel und einem dieser Arfejia direkt neben mir kamen und ich sah wieder über weite Strecken der Wüste.

Wärme und Energie durchflossen meinen Körper, ich spürte, wie meine alte Kraft allmählich in meine Glieder zurückkehrte, dann sah ich auf.
Ich blickte in das ernste Gesicht eines hochgewachsenen Arfejia -mag sein, dass er nur so groß aussah, weil ich auf dem Boden saß, aber dennoch, er schien mir auch sonst recht groß für einen seiner Art gewesen zu sein- seine Haut war rot, so rot wie das Sandgestein in der felsigen Ebene der Küstenregion von Gatanan, seine Augen sahen mich fade an und sein Haar schien verborgen unter einer Kopfbedeckung, die aus Tierfell geflochten war und die Ohren verdeckte.

Seine Schultern wurden von zwei silbernen Platten gestärkt, an denen ein langer grüner Umhang befestigt war, unter diesem trug er ein helles Terciogewand, welches in einer Hose endete, wie sie die Bauern der Calas auf den Feldern tragen, braun und dreckig.

Er sah mich an und ich blickte zurück, ich spürte die Abscheu die von seinen Blicken ausging, ich sah zur Seite an ihm vorbei zu Anteriel, dieser gab mir daraufhin zu, dass ich es wohl mit dem ranghöchsten dieser Arfejia zu tun hatte.

Nur dafür schien er mir zu schlicht und zu menschlich gekleidet. „Erhebt euch nun, die Säuberung ist vorbei und wir werden weiter ziehen, unser Weg ist noch weit.“ sprach der Arfejia mich plötzlich in befehlerischem Ton an und von beiden Seiten griffen mir weitere, ähnlich wie ihr Hauptmann bekleidete Arfejia unter die Arme und zogen mich schwungvoll hoch.

Ich kam sofort auf die Beine und konnte mich auch ohne Schwierigkeiten halten, wessen Blut es auch immer war, dass sie mir zu trinken gaben, es hatte seine Wirkung schnell entfaltet und ich fühlte mich trotz der geringen Menge wieder erholt genug um den ganzen Weg bis nach Igala durch zu laufen. Die Arfejia gingen wieder und versammelten sich rund um einige Karren, an deren Front jeweils zwei Wüstenkröten gespannt waren, im Gegenteil zu Pferden, konnten diese Wüstenbewohner wunderbar auf dem Sand laufen ohne in ihm ständig zu versinken und ihre Statur, die der eines Ochsen ähnelte, sie aber durch die rote Farbe der ledernden Schuppenhaut und dem Schnabel anstatt der Schnauze, von ihnen unterschied, befähigte sie, auch einen ganzen Karren voll Arfejia durch die Wüste zu ziehen.

Schweigend gingen Anteriel und ich Seite an Seite zu den Karren, hinter uns gingen zwei weitere Arfejia, mir viel auf, dass sie nicht die für Arfejia üblichen Tercìo Gewänder trugen, sondern einfache Leinenhemden und Hosen aus einem glänzenden Stoff, es schien, als täten diese Arfejia alles um den Menschen zu ähneln.

„Sie wollen nicht auffallen in den großen Städten der Menschen, ich erzähle euch mehr über sie, wenn wir auf Fahrt sind, dann haben wir auch genügend Zeit, um euch die ganze Geschichte erzählen“, ich nickte dem kleine Mann zu. Als wir an einen der Karren ankamen und hielten, deutete mir einer unserer Begleiter an aufzusteigen.

Es war eine gewöhnliche Holzkarre, eine Plane aus Fellen umspannte ihn, sie schützte vor dem aufwirbelnden Wüstenstaub, ich stieg auf ohne dabei Hilfe zu benötigen, Anteriel folgte mir sofort.

Nachdem wir Platz genommen hatten, sah ich, wie zwei Arfejia am Eingang zum Karren Platz nahmen, drei weitere setzten sich vorne hinter die Wüstenkröten und einer von ihnen nahm die Zügel zur Hand; gleich drauf setzten sich die Kröten schwerfällig in Bewegung und wir fuhren los.

Die Fahrt verlief ruhig, der Wüstensand gab dem Karren nur wenig Grund auf und ab zu steigen, die Arfejia warfen lediglich ab und an ein paar vernichtende Blicke auf Anteriel und mich, doch weiter war nichts von ihnen zu vernehmen.

Nachdem wir wohl schon zwei Stunden unterwegs gewesen sein mussten, fing Anteriel zu erzählen an, was er erlebt hatte, nachdem er aus der Hütte vor mir geflüchtet war.

Ich erfuhr, dass er eine ganze Nacht lang nur lief, er lief unaufhaltsam durch die riesige Wüste Abaralons, bis er die ersten roten Felsen erreichte. Dort angekommen spähte er über eine riesige Fläche von Felsen hinweg und überall zwischen den Gesteinsbrocken standen große Lehmhütten, rauch stieg aus den Fenstern und Licht brannte. Er dachte es wären Menschensiedlungen gewesen, ähnlich der, die wir als Schlachtfeld verlassen hatten.

Zunächst traute sich Anteriel nicht, näher heran zu gehen, aber die Sorge um seinen Meister -ich wollte etwas einwenden, aber ich beließ es dabei, dieser Mensch war nicht mehr zu belehren- war so groß und er wagte sich, nachdem er drei Stunden intensiv ausgekundschaftet hatte, ob ihn auch niemand aus dem Hinterhalt überraschen konnte, an eines der Häuser heran.

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Published inGarten der Engel

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