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Animalisch

1.Tag

Es begann eigentlich alles ganz harmlos. Ein ganz normaler Routineausflug sollte es werden. Besorgen sie Bodenproben und Proben des Vulkangesteins rund um das Tschersker Gebirge, hatte man uns aufgetragen. Doch wir konnten ja nicht ahnen, dass unser Pilot ein solcher Schwachkopf war und sich selbst in den Tod stürze wollte.

Es begann eigentlich schon in der sibirischen Stadt Oymyakon. Die Menschen dort leben in extremen Klimaverhältnissen, nicht umsonst wird dieser Ort auch Kältepol der nördlichen Halbkugel genannt.
Joseph und ich stiegen aus dem Jeep, der uns vom Flughafen in Magadan nach etwa zehn Stunden Fahrt durch die sibirische Tundra hierher brachte, an die Ausläufer dieses Gebirges und den wohl kältesten Ort der Welt.
Man brauchte sich nur vorstellen, wie es wäre, wenn die Hölle gefrieren würde und man hätte eine ungefähre Ahnung von dem, wo wir uns befanden; so drückte es Joseph aus, als wir ausstiegen und während eines Schneesturms -und das im Mai! – zu dem kleinen Doppeldecker liefen, der uns weiter ins unbewohnte Tal des Gebirges bringen sollte. Schon beim Einstieg viel mir der beißende Geruch das Wodkas auf und als sich unser Pilot mit seinem Name vorstellte, schossen mir die Tränen in die Augen, als diese Alkoholfahne mir entgegen kam. Nun ja, ich dachte mir einfach, anders halten diese Menschen die Kälte nicht aus, hoffte darauf, dass selbst ein ganzes Supermarktregal von sieben Meter Länge und drei Meter Höhe voll mit Wodkaflaschen den Genossen nicht umhauen konnten und schnallte mich an.
„Das scheint ja ein lustiger Flug zu werden“, flüsterte mir Joseph im sarkastischen Ton ins Ohr und als ich seine blaue Nase betrachtete, von der bereits erste Eiszapfen zu hängen schienen, musste ich darüber sogar lachen. Naja, wenigstens war es in der engen Kabine warm und ich konnte mir die dicken Pelzhandschuhe eine Weile ausziehen, denn die kratzten ganz schön auf der Haut.

Schon während des Fluges kam es immer wieder zu Turbulenzen, mir sackte mehrere Male das Herz in die Hose, doch als ich sah, wie Joseph seinen Blick aus dem Fenster warf und leise das Lied „Stairway to Heaven“ summte, entschloss ich mich, meine Angst zu unterdrücken. Doch war dies schwer, beim Anblick des schlafenden Piloten.

Ich glaubte irgendwie nicht mehr daran, dass wir lebend am Boden ankommen sollten, nachdem die Brechstange vom Handrad der Flugzeugs wegrutschte und das plötzliche Absacken der Propellermaschine den Piloten nicht zu wecken schien, erst als Joseph dem Mann einen starken Klaps gegen den Hinterkopf gab, wachte dieser bärtige, braunhaarige Mann auf und brachte das Flugzeug wieder unter Kontrolle.

Das war knapp, doch das dicke Ende kam noch. Er schlief wieder ein. Als ich versuchte den Piloten zu wecken, sah ich, wie er ein Bild in seiner einen und eine Flasche Absinth in der anderen Hand hielt. Eine Frau war auf dem Foto zu sehen, wahrscheinlich seine Frau, nun bekam ich es mit der Panik zu tun, ich sagte Joseph, dass der Pilot nicht mehr aufwachen wollte und er riss den Mann einfach vom Sitz und klemmte sich selbst hinters Steuer. Ich betete, ich glaube es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich gebetet habe, aber als ich diesen massiven Gletscher auf uns zukommen sah, war mir einfach danach zu mute.

Joseph steuerte den Flieger tief über einige Baumkronen dieser mächtigen Nadelbäume und verfehlte den Gletscher nur haarscharf, doch eine der Tragflächen wurde abgerissen und ich konnte mich nur noch in letzter Sekunde an Joseph selbst festhalten, bevor alles andere aus dem Flugzeug durch den gewaltigen Riss gesogen wurde; einschließlich des armen Piloten, der hatte nun was er wollte.

Ich sah dem Mann noch kurz nach, wie er friedlich lächelnd auf die Bäume unter uns hinabstürzte, hart auf einigen der Äste aufschlug und seine Gliedmaßen in alle Richtungen verstreut wurden.
Doch dann kümmerte ich mich wieder um meine eigenen Glieder und rief Joseph zu, er solle einfach versuchen mitten in die Wälder zu steuern, vielleicht hatten wir ja Glück und die Bäume würden unseren Sturz stark genug abbremsen, so dass wir mit einem blauen Auge und ein paar schweren Prellungen auf dem Boden ankommen sollten.
Und ich behielt sogar Recht. Kurz nachdem ich es ausgesprochen hatte, drückte Joseph das Steuerrad nach vorne und die Nase der Maschine richtete sich auf die weiß-grünen Bäume unter uns.
Dann ging alles ziemlich schell. Joseph schrie laut auf, als wir den ersten Baum mit uns nahmen, ich sah seine Anspannung in den braunen Augen und wie er die Lippen aufeinander presste. Dann schlug ich mit dem Kopf gegen etwas Hartes.

Als ich wieder aufwachte spürte ich kalten, harten Boden unter mir und eine warme Decke über mir. Ich war am Leben und Joseph anscheinend auch, denn wer sonst hätte mich aus dem Flugzeug ziehen und mich mitten im Wald gegen einen Baum lehnen sollen, zugedeckt mit einer unserer Thermodecken?

Beim aufstehen explodierte in meinem Kopf ein Schmerz und ich sank gleich wider auf die Knie, „sei nicht so voreilig kleiner Bruder, du wirst noch schnell genug die Landschaft betrachten können. Jetzt ruh‘ dich erst einmal noch etwas aus“ hörte ich Josephs tiefe Stimme irgendwo hinter mir und ich tat, wie mir gesagt.

Ich schlief bis kurz nach Sonnenuntergang. Ich musste blinzeln, als ich die Augen wieder öffnete, Joseph hatte ein Feuer entzündet und die Flammen züngelten sich hell und warm in die Luft empor. Joseph selbst saß nur zwei Schritte von mir entfernt, ebenfalls an einen Baum gelehnt, er schlief. Unter dem roten Thermoanzug konnte ich seine Brust sich heben und senken sehen und aus der knolligen Nase stiegen in gleichmäßigen Abständen kleine weiße Wolken hoch. Es war ein seltsamer Anblick, den großen Bruder erschöpft an diesem Baum liegen zu sehen, das freundliche Gesicht von sonst war nur eine Maske aus Schmerzen und die buschigen Brauen schienen die Augen zu verdecken, sie ruhen zu lassen.

Ich dachte mir ebenfalls, dass Ruhe genau das richtige wäre, der nächste Tag sollte noch genug Aufklärung über unsere Situation für mich bringen.

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Published inKurzgeschichten

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