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Animalisch

2. Tag

Ich wachte kurz nach Sonnenaufgang auf. Der Tag brach gerade herein und orange Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg zwischen den mächtigen Bäumen hindurch. Es sollte ein herrlicher Tag werden, das spürte ich.

Selbst als ich aufstand spürte ich keine Schmerzen mehr, anscheinend hatte ich mir bei unserer Bruchlandung nur sehr stark den Kopf geschlagen, kam aber -ausgenommen von ein paar größeren und kleineren Schrammen und Oberflächlichen Wunden, die Joseph aber auch bereits verarztet hatte, ganz gut davon.

Apropos Joseph, ich konnte ihn nirgends entdecken und rief einige Male nach ihm, doch als nach zehn Minuten noch immer keine Antwort von ihm kam, entschloss ich mich, ihn zu suchen. Schnell schlüpfte ich in den Thermoanzug, zog mir die Wollmütze übern Kopf und schüttelte meine Handschuhe von all den Insekten aus, die darin einen warmen Unterschlupf gefunden hatten. „Wie ich sehe bist du wieder bei Kräften großer Mann. Nun, setz dich erstmal wieder, ich habe uns einen Hasen gejagt“ Joseph kam einen kleinen Felsvorsprung herabgestiegen und wedelte mit dem Hasen, den er an den Ohren trug.

„Leider ging bei dem Absturz auch unser gesamter Vorrat an Lebensmitteln drauf, außer ein paar Flaschen von diesem Feuerwasser und wenigen Zwiebeln ist nichts mehr da, was ich retten konnte. Der Rest stürzte samt Flieger die Klippen da vorne herab, in eine tiefe Schlucht. Ohnehin ist dies ein recht unbegehbares Gelände, die gesamte Ostseite der Berge besteht nur aus dichtem Wald und einigen zugefrorenen Bächen. Im Westen findest du außer Felsen, Berghänge und Schluchten nichts weiter. Ich vermute mal, dass wir aus Richtung Süden kamen, nun haben wir die Wahl, entweder wir gehen Nordwärts und erledigen unseren Job oder aber wir gehen in die andere Richtung und versuchen unser Glück in den Wäldern und hoffen nach drei bis vier Tagen wieder in Oymyakon anzukommen.“

Joseph setzte sich während er sprach und ich hatte Mühe seinen Worten zu folgen, ich verstand nur Felsschluchten und was von in Richtung Süden zu gehen und vier Tage durch die Waldtundra zu marschieren. „Was ist mit dem Funkgerät, warum rufst du keine Hilfe? Ich hoffe du konntest den Weltempfänger aus dem Flugzeug retten?“, ich ahnte schon, welche Antwort ich bekommen sollte und als Joseph mit dem Kopf schüttelte, war mir klar, dass wir von der Außenwelt absolut abgeschnitten waren. Willkommen um zwanzigsten Jahrhundert! Dachte ich mir nur, die Menschen des Jahres 1967 konnten den Mond bereisen, hatten Mikrowellen, Autos, Radio, aber waren nicht in der Lage aus dem Niemandsland heraus Hilfe zu organisieren.

Ich ließ resignierend die Schultern hängen. „Kopf hoch Alex, wir werden hier schon irgendwie heraus kommen, als ich vorhin an dem Felspass da vorne entlang ging, fiel mir ein Pfad auf. Er muss schon ziemlich alt sein und lange nicht mehr begangen, aber ich denke, die Ureinwohner dieser Wälder haben ihn angelegt vor vielen Jahren und er führt bestimmt nach Süden in Richtung Pazifik, dort an der Küste müssten wir wieder auf Menschen treffen. Ich denke sechs bis acht Tage werden wir für den Weg aus den Wäldern brauchen und weitere vier, bis ins nächste Dorf.“

Den letzten Satz warf Joseph nur noch schnell hinterher und ich hätte ihn am liebsten angeschrien. „Sechs bis acht Tage?!?“ und ich tat es auch, „wie stellst du dir das vor Joseph? Meinst du wir können einfach sechs bis acht Tage durch den Wald bei dieser Kälte marschieren? Ohne Proviant? Achja, ich vergaß, an meinem großen Bruder ist ja ein Jäger verloren gegangen!“ ich sah auf den Hasen und rümpfte die Nase, als ich voller Ekel mit ansah, wie Joseph dem armen Tier das Fell wortwörtlich über die Ohren zog.

„Reg dich ab Alex, vielleicht sind wir näher am nächsten Dorf als ich denke, außerdem wird dieser Hase erst einmal genügend Fleisch für heute und morgen bieten, zudem finde sich hier bestimmt ein paar brauchbare Knollen und Pflanzen, wir haben Unmengen an Schnee zur Verfügung um an Wasser zu gelangen! Und jetzt sei still und iss, wir haben heute noch ein gutes Stück an Weg hinter uns zu bringen.“

Dann schwieg Joseph und nach einer halben Stunde, war der Hase bereit verzehrt zu werden.
Nach dem Essen gingen wir nicht sofort los Joseph packte noch ein paar Dinge zusammen, sammelte etwas von dem auf, was während unserer Absturz aus dem Fliege fiel -darunter noch ein paar Flaschen Feuerwasser, etwas Brot, vielleicht genug für zwei Tage und seinen Glücksbringer, den Kaschmirschal, den ihm unsere Mutter geschenkt hatte, als er sein Examen in Geologie bestanden hatte- und ich nutze nun die Zeit um das bisher geschehene nieder zu schreiben, wer weiß, vielleicht wird aus dieser Story ja mal ein Bestseller?

Die Sonne war bereits im Begriff unter zu gehen, doch vom Ende der Wälder war keine Sicht. Wie auch, Joseph sprach von bis zu acht Tagen, aber dieser elendig lange Fußmarsch durch diesen arschkalten Wald kam mir zu dem Zeitpunkt schon so vor, als wären wir bereits drei Wochen unterwegs gewesen. Kurz nachdem die Sonne untergegangen war verließen mich endgültig die Kräfte, wir waren nun bestimmt einige Meilen schweigend in gleichmäßigem Schritt hintereinander weg gegangen um unsere Kräfte zu sparen. Ab und an ging Joseph ein gutes Stück vor und es sah aus, als wollte er die Gegend erkundschaften, aber was gab es schon besonderes zu sehen, außer Bäumen, Bäumen, Schnee, Felsen und nochmals Bäumen.

Eines aber erschreckte mich dann doch, als Joseph auf einmal stehen blieb und mir einen Fußabdruck zeigte, besser gesagt war es ein Pfotenabdruck, Joseph war sich ziemlich sicher, dass dieser von einem sibirischen Bergwolf stammte. Wir waren also nicht allein in diesen Wäldern.

Ich hatte diesmal das Feuer entzündet und meinen ganzen Frust an diesen dämlichen Zweigen ausgelassen, die wir schon am Tag zuvor aufgesammelt hatten und die unser einziges trockenes Holz waren. Joseph währenddessen lief weiter in den Wald und wollte nach Essbarem suchen. Sollte er ruhig, was störte es denn auch, dass ich ganz allein mich mit diesem Feuer abquälen durfte und vielleicht noch von einem dieser Wölfe gerissen wurde. Dann plötzlich fuhr ich hoch und mein Herz begann schneller zu schlagen, ich hörte Joseph laut aufschreien. Schnell ließ ich das Holz fallen und rannte in die Richtung, aus der der Schrei kam. Hoffentlich war Joseph nichts passiert, betete ich.

Ich fand Joseph zwei- dreihundert Meter östlich auf dem Boden kniend, er untersuchte etwas, doch noch bevor ich zu ihm gehen konnte, erschrak ich und ein leiser, quiekender Schrei entrann meiner Kehle. Dort stand ein Wolf, es war eine riesige Bestie, er schimmerte silbern im fahlen Licht der Abenddämmerung und die eisig blauen Augen musterten mich gründlich. Anscheinend hatten wir ihn bei seinem Abendbrot gestört, denn als ich aus meiner Starre wieder erwachte, sah ich, wie Joseph vor einem Tierkadaver kniete. Es war ein weiterer Wolf.

„Er hat ihn einfach zerfleischt, einfach so, so ein Bastard, tötet womöglich noch seinen eigenen Bruder. So sind Tiere Alex, ohne Gewissen und Skrupel, es ging wohl nur um einen Hasen“ Nur um einen Hasen dachte ich, aber dieser Hase bedeutete vielleicht für Beide das Überleben.

Joseph stand wieder auf, warf noch einen verächtlichen Blick zu dem Wolf, der nur fünf Meter von ihm weg stand und wohl einfach geduldig darauf wartete, dass Joseph von seinem Abendmahl wieder ab lies und dann gingen wir zurück zu unserem Lager. Den ganzen Weg über sprach Joseph mal wieder kein Wort, er war nun völlig in Gedanken versunken gewesen, spürte er nun das gleiche was ich auch spürte? Wusste er es genauso wie ich? Wenn es noch mehr dieser Bestien in diesen Wäldern geben sollte, dann würden wir nicht mehr lange überleben.

Nach einem spärlichen Abendessen, bei dem wir die Knochen des Hasen abnagten, lege ich mich nun zur Ruhe, Joseph übernimmt die erste Wache. Einer muss sich ja schließlich darum kümmern, dass das Feuer weiter brennt und die Wölfe fern hält. Wer weiß, was es noch anderes in diesen Wäldern gibt…

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Published inKurzgeschichten

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