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Animalisch

3. Tag

Joseph war nicht beim Feuer, als ich aufwachte, aber es brannte zum Glück noch. Ich verstand nicht, wie er es einfach unbeaufsichtigt lassen konnte. Es ging mir ja gar nicht um mich, aber das Feuer, wir haben nur noch sehr wenig Holz und auch kaum Streichhölzer sind übrig geblieben, nachdem Joseph es nicht mehr geschafft hatte, einen unserer Rucksäcke vor einem Wolf zu retten, der mitten in der Nacht sich trotz des Feuers an unser Lager heran schlich und einfach unseren Rucksack mit sich gezerrt hatte. Ich wurde von Josephs lautem Geschrei und Gefluchte geweckt und sah nur noch, wie er dem Rucksack hinterher rannte. Er kehrte lediglich mit einem der Schultergurte zurück.

Es war seltsam, wie nah sich die Wölfe an das Feuer heranwagten, als wären sie solche Lager bereits gewohnt, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, woher. Denn wir waren in dieser Gegend vollkommen allein. Nachdem ich zwei Stunden auf Joseph vergeblich gewartet hatte, ging ich los um ihn zu suchen. Ich lief etwa eine Stunde in östlicher Richtung, dorthin, wo ich den Rucksack letzte Nacht verschwinden gesehen habe, bevor Joseph hinterher rannte und in der Dunkelheit der Nacht verschwand.

Ich fand ihn nirgends, aber als ich auf dem Weg zurück zum Lager einen kleinen Umweg am Ufer eines Eisbaches entlang ging, hörte ich ein leises Wimmern und folgte diesem.

Es war ein Wolf -oder eine Wölfin, ich bin nicht sehr darin geübt, das Geschlecht solcher Tiere auseinander zu halten, aber ihre Augen verrieten mir, dass es eine sie war, denn sie strahlten etwas Warmes aus diesem blassen Grau aus. Sie hatte sich mit der Pfote in einer Art Falle verhangen und an der Art, wie diese Falle aufgestellt war, wie das Seil geknotet und ausgelegt wurde, wusste ich sofort, dass Joseph diese Falle gelegt hatte. Dieser Narr, dies werden ihm die Wölfe mit Sicherheit nachtragen.

Wie es auch sei, ich befreite die Wölfin aus ihrer Falle und so unglaublich es klingen mag, sie sah mich einen Augenblick tatsächlich dankbar an, ich sah es in ihren Augen, die Art und Weise wie ihre Blicke meine trafen, verrieten mir, dass ich in diesem Moment eine Freundin unter den Wölfen gefunden hatte.

Dann lief sie davon, tief in den Wald hinein und ich stand auf um weiter zu gehen, dabei stieß ich mit dem Fuß gegen etwas Weiches, es war der Kadaver eines weiteren Wolfes, doch diesmal hatte ihn keiner seiner Artgenossen getötet, sondern er hatte sich mit der Schnauze in Josephs Falle verfangen und musste keine Luft mehr bekommen haben.

Es tat mir wirklich Leid und tut es auch immer noch, wenn ich daran denke, welche Qualen dieses Tier erlitten haben muss. Dafür wollte ich Joseph zur Rechenschaft ziehen, doch als ich am Lager ankam und mit ihm über die Fallen reden wollte, blockte er mich nur ab und ließ sich nicht weiter dabei stören, eine Art Brühe über dem Feuer zu kochen. Ich werde wohl nie erfahren, was er da drin verarbeitet hatte, es schmeckte auf jeden Fall nicht nach Hasen.

Ich denke ich werde die nächsten Tage nicht zum schreiben kommen, Joseph verhält sich merkwürdig, so kenne ich ihn gar nicht. Seit wir aus Arkansas aufgebrochen waren verschlechterte sich seine Laune zunehmend, so, als hätte er gewusst, was uns hier erwarten sollte.

Nun ja, ich werde mich die nächste Zeit um unser leibliches Wohl kümmern. Oh Mist, ich muss Joseph wecken zur Wachablösung.

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