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Der Duft

Es war mein erstes Meeting mit den höchsten Tieren der Firma. Oh mein Gott, war ich aufgeregt, ich, als stellvertretender Marketingmanager, sollte tatsächlich meine eigenen Konzeptentwürfe für das kommende Jahr vorstellen! Ich war hin und weg.
Gleich am selben Morgen, als der Anruf von Herrn Wachtel kam, mit dem er mir mitgeteilt hatte, dass er wegen einer Geschäftsreise verhindert wäre, packte ich all meine Zettel, auf denen sich mehrere Mind-Maps zugleich befanden, zusammen und fuhr los.
Unrasiert und beinahe noch ohne Hose.

Während der Fahrt, bemerkte ich im Rückspiegel mein Erscheinungsbild und stoppte bei der nächsten WC Gelegenheit. Bei McDonalds.
Nun ja, ich wollte ja nicht zimperlich sein, immerhin ging es dabei um meine Zukunft. Also ich nichts wie rein in den Burgerschuppen und direkt auf die Toiletten zugesteuert.

Mit ein paar Handgriffen saß die Frisur und dank eines älteren Herren, der anscheinend in seinem kleinen Umhängeledertäschchen sein gesamtes Repertoire an Hygieneartikeln mit sich führte, konnte ich mir auch eine grobe Rasur verpassen.

Erfrischt und mit neuem Selbstbewusstsein, stieg ich wieder in mein Auto. Nun konnte das Meeting kommen. Ich freute mich. Ja ich freute mich wie ein kleiner Junge sich auf die Bescherung an Weihnachten freut.
Es kribbelte in meinem ganzen Körper, als wenn ich das erste bunt verpackte Päckchen in meinen Händen halten würde und es schüttelte. Es klapperte laut und ich… Ich hatte eine Beule in meinem Nummernschild.

Okay, das kommt vor, dachte ich mir, kein Grund zur Panik, ich habe diesen dummen Parkbegrenzungspfahl dort nicht hingestellt. Sollen die Parkhausbetreiber mir den Schaden ersetzen. Wenn das Meeting erst einmal gelaufen war, hätten mir eh alle Türen offen gestanden; soviel war ja wohl klar.

Noch während ich im Fahrstuhl stand, nervös in meinen Notizen blätternd, traf es mich wie ein Schlag. Natürlich! Nicht meine Karriere war es, die mich so heiß auf dieses Treffen machte. Mein Herz schlug schneller. Es gab einen anderen, einen wesentlich attraktiveren Grund. Einen Grund mit einem bezaubernden Lächeln, gewelltem, langem braunen Haar und Augen so verführerisch braun, wie diese kleinen Schokoladeneier, die in der Werbung immer hoch angepriesen wurden. Die viele Milch, ich war verrückt danach. Ebenso nach Silvia.
Silvia Dornberg war Leiterin der Produktentwicklung und dies bereits seit vier Jahren, ohne dass sie jemals ernsthafte Konkurrenz fürchten musste. Sie war einfach eine tolle Frau, sie hatte Charme, war intelligent und das Beste war, sie war mit ihren vierunddreißig Jahren noch immer Single!
Und sie würde da sein, zusammen mit allen anderen hohen Tieren der Sweet – Milk – Company, würde sie an dem großen, ovalen Eichentisch inmitten des Konferenzzimmers sitzen. Sie unter all den anderen, und sie würde mir zuhören, mich ansehen, das erste Mal vielleicht wirklich wahrnehmen! Es war meine Chance, sie zu beeindrucken.

Doch was nützt der beste Vortrag, wenn der, der ihn hält, vor Müdigkeit und Hunger diesen nicht voller Elan halten kann. Ich musste noch einmal runter fahren, in die Kantine. Mein Magen sagte mir, er brauchte etwas zu Essen und mein ganzer Körper schrie nach Koffein.

Gedacht, getan. Zwei Kaffee und ein Lachsbrötchen sollten meinen Kreislauf und meine Gehirnzellen für die nächsten zwei Stunden auf Trab halten. Dann etwas ruhiger, wartete ich im Fahrstuhl. Zum Glück war ich nicht allein, ich glaube, ich hätte wieder begonnen an meinen Fingernägeln herumzukauen. Doch in der Gesellschaft einer jungen Dame, war mir dies zu peinlich.

1.Stock, Marketing. Jaja, mir war die wunderschöne Aussicht auf die Stadt nicht vergönnt.
Noch fünf Stockwerke, verdammt, warum mussten solche Bürogebäude auch immer so hoch gebaut werden. 2. Stock. Produktentwicklung. Der Fahrstuhl hielt. Als wenn ich es geahnt hätte, hielt die Fahrstuhlkabine und mein Kreislauf kam ins wanken. Tatsächlich, sie stieg ein. Silvia.

Es war sicherlich nicht das erste Mal, dass ich sie im Fahrstuhl traf und auch nicht, dass sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen, nur mit einem stummen Nicken in den Fahrstuhl trat. Ich war ja „nur“ der stellvertretende Marketingmanager. Ich gehörte -noch- nicht, in die oberste Etage.
Ich fragte mich, wie ihr Blick wohl sein sollte, wenn mein Name ausgesprochen werden würde und ich nach vorne, vor die Versammelten treten würde und ich ihnen meine genialen Konzepte vorstelle.
Silvia würde sicherlich mit Begeisterung zur Leinwand sehen, auf der meine Mind – Maps und statistischen Diagramme von einem Beamer projiziert wurden. Doch im Moment war alles, was sie tat, mir den Rücken zuzukehren und im Fahrstuhl genüsslich eine zu rauchen.
Ich gönnte es ihr, ja, sie sollte ihr Nikotin haben, bevor die Erregung sie niederreißen sollte und sie unter Qualen ihr Verlangen, mir um den Hals zu fallen und mich aufs Äußerste für mein Genie zu beglückwünschen, zurück halten musste.

Noch zwei Stockwerke, ich wurde wieder nervöser. Langsam fuhr meine rechte Hand an meine Lippen, zaghaft schoben sich meine Fingernägel zwischen meine Zähne. Ich konnte noch gerade rechtzeitig ein herzhaftes Gähnen vortäuschen, bevor die junge Dame neben mir meine kindliche Tat erblicken konnte. Ich kannte doch die Frauen. Besonders in einer Firma wie dieser, blieben Klatsch und Tratsch nicht lange auf einem Stockwerk. Welch eine Schande wäre es gewesen, wenn Silvia erfahren hätte, dass ich, Robert Lehmann, auf den Fingernägeln herumkauen würde.

Mein Gott, es wäre das Ende vor dem Anfang meiner Karriere gewesen! Mit einem sachten Ruck und einem schrillen Gong hielt die Kabine ein weiteres Mal. Sechster Stock, wir waren da.

Summend glitten die Kabinentüren auseinander und den Glimmstängel noch schnell austretend, glitt Silvia förmlich aus der Kabine. Ich war so überwältigt von ihrer Eleganz, dass ich beinahe selbst vergaß, auszusteigen …

Endlich war es soweit, ich saß am Tisch in der Mitte des wunderschönen, mit Marmorfliesen ausgelegten, Konferenzzimmers. Es wirkte gar nicht so steril, wie ich mir diese Art Räume immer vorgestellt hatte. Die Wände waren weiß gestrichen, sicher, aber wunderschöne bunte Gemälde zierten sie und einige Zimmerpflanzen sorgten für eine angenehme Luftfeuchtigkeit.

Ich sah mich von meinem Platz, irgendwo am rechten Rand des Tisches, aus um. Ungefähr zwanzig Personen hatten an diesem gigantischen Glastisch Platz. Unter ihnen Männer sowie Frauen unterschiedlichsten Alters. Sie alle redeten gehoben miteinander über irgendwelche schwarzen und roten Zahlen, Golfclubs und eben das ganze Klischee Gerede, welches man sich von solchen Menschen ausmalte.
Von draußen war der Lärm der Baustelle vor dem Bürogebäude zu hören. Bagger und Schlagbohrer dröhnten durch die offenen Fenster. Meine erste Amtshandlung sollte es wohl werden, die Fenster zu schließen, auf meinem Weg zum Podium.

Suchend glitten meine Blicke weiter. Wo war sie bloß? Unter all den Leuten in schwarzen und grauen Anzügen fiel Silvia in ihrem schwarzen, eleganten und so verführerischen, rückenfreien Kleid nicht auf. Ich suchte weiter, ihr Halstuch, es war weiß, weiß, sie wollte, dass man ihr ihre Unschuld ansah. Ich musste meine Gedanken in eine andere Richtung lenken, denn ich spürte, wie die Erregung in mir aufkam. Es wäre nicht sehr vorteilhaft gewesen, unter diesen gewissen Umständen aufzustehen.
Doch da war noch etwas, etwas nicht ganz so Peinliches, aber wesentlich Unangenehmeres. Da war ein Grummeln in meiner Magengegend. Mein Gott, waren da etwa versteckte Zwiebeln auf dem Lachsbrötchen gewesen?

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich spürte, wie sich ein beklemmender Druck in meinem Bauch aufstaute. Nervös sah ich mich um, es war zu spät. Die Herrschaften nahmen Platz und der leitende Vorstandvorsitzende trat an hinter das Rednerpult.

Nun konnte ich sie sehen, sie saß etwas links versetzt von mir, auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Sie sah mit einer gespielt interessierten Miene nach vorne und schien dem Vorsitzenden zu lauschen. Doch in Wahrheit war sie mit ihren Gedanken ganz woanders, weit weg, vielleicht an einem Strand, irgendwo in der Karibik?
Ich war mir sicher, dass sie sich einen solchen Urlaub leisten konnte. Bald, dachte ich mir, bald werden wir beide zusammen Wellenreiten! Und nach einem kühlen Cocktail werden wir durch die Stadt spazieren gehen, uns von der lauten Musik aus den Diskotheken und Bars beduseln lassen und ein warmer Sommerwind wird unsere Körper kühlen, wenn sie in heißer Ekstase aneinander reibend zur Musik tanzen…

Oh nein, warmer Wind, da war er wieder, dieser Druck.
Ich wusste nicht, wie lange ich es noch unterdrücken konnte. Es schmerzte schon richtig, meine Darmwände drückten sich krampfhaft auseinander, nur mit Mühen konnte ich den Schmerz unterdrücken.
Schnell erhaschte ich einige Blicke der anderen Konferenzteilnehmer. Ich musste unbewusst auf dem Stuhl hin und her gerutscht sein, denn sie sahen mich verständnislos an.

Nun gut, ich war eben nervös. Pah! Ich wollte gerne wissen, wie die sich bei ihrer ersten Präsentation verhalten und gefühlt hatten. Ich hätte jede Wette eingehen können, die mit ihren schicken Designeranzügen und absolut glatt gestriegelten Frisuren, hatten beim ersten Mal nicht einen Ton herausbekommen!

Auch Silvia sah mich an. In ihren Blicken lag etwas Abwertendes, etwas… was war das? Sie rümpfte die Nase. Ihr Nachbar ebenfalls. Plötzlich begannen alle Leute in meiner näheren Umgebung ihre Nasen zu rümpfen. Einige räusperten sich, andere warfen mir schräge Blicke zu.
Dann roch ich es auch.
War es doch geschehen?
Beißend stieg mir dieser üble Geruch in die Nase. Es roch einfach widerlich, so ähnlich hatte es auch auf der Toilette bei Mc Donalds gerochen. Ich musste husten.

Aber das konnte nicht sein, ich spürte den Druck in meinem Bauch noch immer. Er konnte sich nicht einfach selbstständig gemacht haben! Immer mehr Augen starrten mich mit Abscheu an. Immer mehr Nasen kräuselten sich. Andere fingen an zu tuscheln und warfen dabei schnelle, gehofft unauffällige Blicke zu mir rüber.
Aber ich war es doch nicht! Ich habe diese Gase nicht abgelassen! Ich bin unschuldig, ich werde zu Unrecht beschuldigt.
„Herr Lehmann?“
„Nein!!“
Schreiend sprang ich auf. Diese Schmach konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.
„Ich war es nicht. Sie brauchen mich nicht so anzusehen! Ich habe NICHT GEFURZT!“
Ich spürte, wie ich vor Scham und Wut rot anlief. Meine Ohren begannen zu glühen. Ich wurde mit tadelnden aber auch unverständlichen Blicken angestarrt. Silvia grinste das Grinsen eines Anwaltes, der soeben ohne großes Bei tun eine Tat aufgedeckt hatte.
„Aber Herr Lehmann, ich dachte sie wollten uns nun ihre Vorschläge präsentieren?“

Überrascht über meinen Wutausbruch, sah mich der Vorstandvorsitzende an. Verdammte Axt, was hatte ich bloß getan? Sie hätten es nie beweisen können, sie hätten sich ihre Mäuler zerreißen können, aber niemals hätte jemand sagen können: „Ja der Lehmann, der hat im Konferenzraum so richtig dreist gefurzt!“

Doch nun. Ich hatte mich sozusagen schuldig bekannt. Meine Ohren glühten noch mehr, besonders als Silvia ihre Blicke von mir abwand, als ich zu ihr sah. Hochnäsig sah sie lächelnd zum Vorsitzenden, ihre Ohren gespitzt, abwartend, was ich als nächstes sagen würde.
„Ich, ehm, ja. Ich werde nun beginnen“

Was sollte ich tun? Den Vortrag fallen lassen? Noch war meine Karriere nicht verloren, noch konnte ich sie retten. Ich musste gut sein, ich musste sie alle vom Hocker hauen; dies war meine letzte Chance!
Sie war vertan. Verloren! Ende! Game Over.

Alles was ich wollte war, meine Notizzettel aus meiner Tasche zu kramen. Ich beugte mich vor, es wäre nur ein kurzer Handgriff gewesen. Dann geschah es. Es war laut, es dröhnte selbst mir in den Ohren und die Vibration ging durch meinen ganzen Körper. Alle schwiegen auf einmal, sagten nichts mehr, sahen mich ausdruckslos an.
Silvia warf mir vernichtende Blicke zu und hob ihr Seidentuch über ihre Nase, ihre Nachbarn nahmen ein Taschentuch zur Hand oder hielten ihre Finger unter deren Nase. Langsam verließ ich meinen Platz, doch nicht in Richtung Podium, ich ging zur Tür. Raus, das war’s, dieser Vortrag war gelaufen. Ich konnte nur noch vor dieser Schande weglaufen, mir einen neuen Job bei einer anderen Firma suchen.

Ich ging an den Fenstern vorbei in Richtung Tür. Kurz warf ich einen Blick hinaus auf die belebten Straßen. Es war warm, der Himmel blau und die Sonne schien. Doch auch dies konnte meinen Frust nicht mehr lindern. Kurz sah ich herab zu der Baustelle unter mir.
Ob sie es wussten? Wollten sie mich auf die Probe stellen? Aber sie konnten nicht wissen, wie es mir geht. Warum nur, warum musste ich mich so in die Irre führen lassen?

Weit unten stand ein Dixi WC-Haus, der weite Belüftungsschacht führte einen guten Meter die Hauswand herauf. Noch immer stiegen etwaige Gerüche herein und ein fettleibiger, schwitzender Bauarbeiter verließ das Klo, sich noch kurz am Hinterteil kratzend.

Published inKurzgeschichten

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