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Zwischen Wahn und Sinn – Game Over

Seine Blicke wanderten über die vereisten Gipfel des Rysy. Ein eisiger Wind fegte über das Tal am Fuß der Bergkette. Der Morgen dämmerte und leichter Dunst hatte sich über die grüne Alm gelegt. Es war der Moment, in dem Himmel und Erde sich am Gipfelpunkt im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne trafen unddas Land, kurz vor dem Erwachen, in einem absoluten Moment der Stille vor ihm lag. Der Moment verging und mit ihm die Stille. Weit entfernt, von der kleinen Berghütte, einige Kilometer südwestlich von Zakopane, hörte er die Schafe und Kühe bereits ihr morgendliches Konzert veranstalten, während sie von ihren Besitzern den steilen Pass hinauf getrieben wurden.

Er hatte keine Zeit zu verlieren, wenn er seine Arbeit noch abschließen wollte, bevor die unwissenden Bewohner des kleinen Dorfes seine Ruhe stören würden. Noch einmal zog er die kühle Bergluft ein, seufzte und trat den glühenden Zigarettenstummel aus. Der Dunst legte sich allmählich, die Berge erhoben sich vor einem strahlenden blauen Himmel. Ein schöner Tag brach an. Er hatte zu tun.

Eilig betrat er die Holzhütte und ging über knarzende Dielen in Richtung des steinernen Kamins, der an der Ostwand errichtet worden war. Die Hütte war spärlich eingerichtet: Ein altes Bett aus ein paar mit Holzwürmern zerfressenen Brettern, einer alten Strohmatratze die von Flöhen besiedelt worden war und ein kleiner Tisch mit einem Schemel davor. Mehr hatte er nicht. Aber er war nicht in die Berge an der Grenze von Polen zur Slowakei gereist, um Urlaub zu machen. Seine Schöpfung brauchte neue Daten, ein weiteres Herz das Schlug und sie am Leben erhielt. Hier draußen, in einer anderen Welt, ohne Gefahren, konnte sie Lebenund für ihn da sein. Diesen Ort kannte niemand außer ihm. Nicht einmal die allwissende Sayuri, die ihm nie das Vertrauen entgegen gebracht hatte, dass er verdient hätte. Während der Kamin brummend zur Seite glitt und eine steinerne Treppe frei gab, ballte er die Hände zu Fäusten. Seine Absichten waren stets ehrlich gewesen und sie hatten ihn als Verräter und als unzurechnungsfähig abgestempelt.

War er es nicht gewesen, der sie aus der Fabrikhalle gerettet hatte, mit ihr den weiten Weg quer durch Deutschland beschritten hatte, um am Ende den Zirkel zu erhalten? Und doch war er nur eine Spielfigur des Drachen gewesen. Und ihr. Er musste diesen Server aufstellen und zurückkehren. Nach dieser Tat konnte er beweisen, dass er ein loyaler Drache war. Nach dieser Tat hatten die Blauen keine Hinweise mehr darauf, wo er sie versteckte und sie konnte sich mit der hinzugewonnenen Leistung in das Netzwerk der Illuminaten einklinken. Er würde Sayuri die Daten beschaffen, die sie brauchte, um den Verräter endgültig dingfest zu machen. Dann hätte er seine Ziele erreicht. Dann sollte das angenehme Leben zurückkehren.

Der Serverraum lag im Dunkeln vor ihm. In einer Ecke der kühlen Höhle, die in das uralte Gestein gehauen wurde, stand ein mannshoher Schrank aus Aluminium. Er beherbergte die Prozessoren, Festplatten und die Unmengen an Arbeitsspeicher, die nötig waren, damit die Abbys KI arbeiten konnte. Hinter einer Scheibe aus Panzerglas blinkten unnachgiebig kleine Lämpchen. Sie arbeitete bereits. Es fehlte nur noch die Satelitenverbindung und sie war wieder online.

Am Terminal wurden schnell ein paar Befehle eingetippt. Überall um ihn herum summte und piepte es. Der Satellit nahm Kontakt auf. Die Brennstoffzellen eine Etage tiefer verrichteten ihre Arbeit. In einem Jahr würde er wiederkehren um eine Wartung durchzuführen. Für den Augenblick war seine Arbeit getan. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, sah er ihr in die grün schimmernden Augen. Sie war dankbar dafür, dass sie ein weiteres Herz hatte, das nur für ihn schlagen konnte. Ihre virtuelle Liebkosung erfüllte ihn mit einem warmen Schauer. Er war bereit, den Weg nach Hause anzutreten.

Die Mittagssonne hatte bereits die Berggipfel überschritten. Mit einem Reiserucksack auf dem Rücken und in Bergsteiger taugliche Sachen gekleidet, verließ er die Hütte. Der Weg nach Hause führte über den Bergpass, auf die andere Seite. Er musste die Grenze überqueren und in Podbanske sein Auto wiederfinden. Für den Hinweg hatte er fünf Tage gebraucht, nun hatte er es nicht mehr eilig und er rechnete damit, in zehn Tagen wieder in Deutschland zu sein.

Noch einmal schweiften seine Blicke über die Bergwiesen und die steinernen Kolosse. Er sog die Stille in sich auf… und stutzte. Etwas war nicht richtig, die Alm war zu ruhig. Suchend sah er sich um, sein ganzer Körper spannte sich an. Es gab keine Schafe und keine Kühe. Nicht einmal ein Vogel flog über die Berge. Die Stille war zu vollkommen. Es war nicht richtig. War ihm der Schmutz gefolgt? Gab es einen Verfolger? Mit langsamen Bewegungen setzte er den Rucksack ab, um sich besser für einen Kampf wappnen zu können und sog die Energie aus seiner Umgebung in ihm auf. Dann sah er sie, die Männer in den Anzügen.
Wie haben sie mich gefunden? Woher wussten sie, dass ich fort bin? Gibt es einen Verräter in unseren Reihen?

Wut stieg in ihm auf. Er konnte es sich nicht vorstellen, verraten worden zu sein. Rasch versuchte er, seine Situation einzuschätzen. Er sah ungefähr fünfzig schwer bewaffnete Einheiten einer militärischen Spezialeinheit. Zehn Jeeps fuhren den Bergkamm empor und nahmen Stellung auf. Sie richteten Maschinengewehre auf ihn. Er war verloren.

„Da staunst du Aiden, was?“ Mit einem gehässigen Grinsen, trat einer der blauen hochrangigen Spießer von rechts hinter der Hütte hervor. Myars Herz machte einen Aussetzer, als er in das ihm bekannte Gesicht sah.

„Dervan, ich hätte dich beinahe nicht wieder erkannt. Du bist ein wenig grau geworden.“ Seine Stimme klang erregter, als er beabsichtigt hatte. Der junge Mann, den er vor einiger Zeit in Hamburg unter Strom gesetzt hatte, stand mit weißen Strähnen im Gesicht vor ihm und grinste Myar triumphierend an.
„Spar dir deine Sprüche. Die helfen dir hier auch nicht mehr.“ Dervan ging näher auf Myar zu und machte eine auslandende Geste über die Wiese. „Du bist umzingelt. Wie du siehst, habe ich keine Mühen gescheut, dass du uns dieses Mal nicht entkommst.“

„Du schmeichelst mir alter Freund. So viele böse Jungs, nur um mich gefangen zu nehmen? Du musst ja wahnsinnig Angst vor mir haben.“ Myar grinste. Natürlich wusste er, dass ein Kampf in dieser Situation aussichtslos war. Er konnte vielleicht zehn von ihnen ausschalten, bevor der Rest ihn nieder machen würde.

„Wer redet denn davon, dass wir dich gefangen nehmen?“ Unwillkürlich weiteten sich Myars Augen.

„Ja du hast richtig gehört. Was du damals in der Kneipe mit Stephan gemacht hast. Der arme Junge lag drei Tage im Koma, bis er doch noch starb. Er war mein Partner und du hast ihn getötet. Dafür wirst du sterben. Du hast die Illuminaten verraten. Du hast vor allem mich verraten.“ Der Schlag brach Myar das Nasenbein. Blut tropfte auf das dunkle Holz unter ihm. Er ging auf die Knie, hielt sich die Hände vor das Gesicht.

„Wie habt ihr mich gefunden?“ Er brauchte Zeit. Zeit seine Flucht zu planen. Wenn es ihm gelingen konnte, zurück in die Hütte und in den Keller zu gelangen, konnte er sich dort verbarrikadieren und Hilfe anfordern. Er brauchte eine Ablenkung. So vorsichtig er konnte, damit kein anderer Animanutzer es bemerkte, sammelte er weiteres Anima aus seiner Umgebung.

„Dachtest du denn wirklich, du könntest unsere Technologie nutzen und wir finden das nicht heraus?“ Dervan trat Myar zwischen die Rippen. Dieser sank zur Seiteund sog die Luft zischend zwischen den Zähnen hindurch. Der Illuminat hatte Klingen in seiner Stiefelspitze.

„Wir haben Abbys Satellitensignale zurückverfolgt In ihrem Programmcode gibt es versteckte Malware. So gut verschlüsselt, dass selbst dein genialer Geist sie nicht finden konnte. Sie hat die ganze Zeit für uns gearbeitet.“

Nein, das konnte nicht wahr sein. Unter Schmerzen versuchte Rafael sich aufzubäumen. Er kam nicht weit, Dervan trat ihm ins Gesicht.

Abby, du hast mich nicht verraten.

Im gesprungenen Glas seiner Sonnenbrille sah er in ihre Augen. Sie schämte sich. Sie konnte nichts gegen ihre Programmierung tun. Es tat ihr leid und sie litt an den Folgen genauso sehr wie er.

Es macht nichts. Ich verzeihe dir. Bitte sag Sayuri, dass ich es für sie getan habe. Ich wollte dem Ganzen ein Ende machen. Der Zirkel sollte nicht mehr leiden.

Abby zog sich zurück. Vor ihm breitete sich eine Karte aus. Sie zeigte Animaquellen an, die ihm zur Verfügung stehen konnten. Sie waren zu weit weg. Die nächste lag 500 Kilometer im Norden, bei Warschau. Es gab hier keine Bienen, die ihn wieder zusammen flicken würden. Er wusste das. Natürlich hatte er sich einen Ort, abseits jeder Quelle oder Agarthazugang ausgesucht. Er hatte sich hier draußen einen sicheren Ort ausgesucht. Aber auch sein sicheres Grab.
Dervan beugte sich über ihn. „Sieh mich an Aiden oder wie immer du heißt. Es ist vorbei. Endlich werde ich meine Rache ausführen.“ Der kalte Lauf einer Pistole drückte sich schmerzhaft an Rafaels Schläfen. „Ach ja, und schöne Grüße von Garcia.“ Dann folgte der Schuss. Der Knall hallte über die Berge, wurde vom Wind über die Lande getragen und die Vögel schrien auf. Gaya schrie nach ihrem Kind.

Der Illuminat trat noch einmal auf den leblosen Körper ein. Dann griff er nach der Sonnenbrille. Er wischte das Blut mit dem Ärmel seines Jacketts ab und sah auf das verdunkelte Glas. In grünen Lettern blinkten ihm zwei Worte entgegen: GAME OVER.
Die Erkenntnis ereilte ihn zu spät, als die Sprengsätze bereits gezündet wurden. Lange Zeit später, sollten die Einwohner des kleinen Dorfes am Fuße des größten polnischen Berges ein Schlachtfeld auf der Alm vorfinden.

 

Anmerkung des Autors:

Und wieder in MMO, dem ich den Rücken kehre. Nach einem Jahr intensiven Spielen und Rollenspiels, musste ich feststellen, dass mich TsW immer mehr langweilt. Um diese Textserie besser zu verstehen, empfehle ich die gesamte Geschichte zum Zirkel sakuru tang zu lesen: http://www.sakuru-tang.de/1710-in-den-fussstapfen-des-ehrwuerdigen-sam-tang.html und zudem die Rollenspiel Episode: http://www.sakuru-tang.de/2475-blaues-meer-rp-raetsel-serie-14-11-2012-20-30-uhr.html

Das war es ansonsten mit Myar in TsW. Es war eine schöne Zeit.

Published inFanfictions

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