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Zwischen Wahn und Sinn – Prolog – Verrat

Der markerschütternde Schrei einer Frau durchschnitt die Stille der Nacht. Die Sterne und der Halbmond schienen durch das Fenster auf mich herab und färbten das Zimmer in silbernes Licht. Ein lautes Seufzen und der wohlige Klang eines Feuerzeugs erklangen kurz nach dem Schrei. Ich sah zur Seite und Janette tief in die Augen.

Sie hatte sich gerade eine Zigarette angezündet und grinste mich nun an. Ein paar rote Strähnen fielen ihr ins Gesicht und umrahmten die weichen Züge. Ich tat es ihr gleich und griff nach meiner Zigarettenschachtel. Eine entspannende Wärme durchflutete meinen Körper und die Lust auf das Nikotin hatte sich immens gesteigert. Wenn diese neue Welt, die ich betreten hatte sich immer so anfühlte, wollte ich nie wieder gehen. Was mich auf einen neuen Gedanken brachte. Nicht ganz so wohlig und ich zögerte damit die Zigarette anzuzünden.

Es war die Frage nach dem Warum. „Warum ich?“, ich legte die Zigarette wieder beiseite. Janette sah mich schweigend an. Ihr grinsen wich sehr langsam wieder aus ihrem Gesicht, als hatte sie mit der Frage gerechnet. Nur nicht unbedingt jetzt.

Nach einem kurzen Schweigen drückte sie den bereits brennenden Filter aus und setzte sich aufrecht hin. Zu meiner Überraschung zog sie die Decke höher und meine Blicke hefteten sich an ihre nackten Schultern. Wie eine einfache Frage die Intimität einer Situation doch zerstören konnte.

„Du hast Fähigkeiten, die nützlich sind. Darauf hat es der Drache abgesehen.“ Ich musste grinsen. Sehr vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihr aus und streichelte ihren Oberarm. „Ich weiß nicht, ob ich diese Fähigkeiten mit jedem teilen würde. Ich halte nicht viel von One-Night Stands.“ Aus ihren Blicken konnte ich ablesen, dass sie über den Sinn dieser Aussage nachdachte. Nur einen kurzen Moment. Dann ergriff sie blitzschnell meine Arme, unfähig zu reagieren, musste ich es zulassen, dass sich ihr nackter Körper auf meinen wälzte und… ich sollte mich wieder auf das konzentrieren, weshalb ich in dem stinkenden und überfüllten Präsentationsraum saß. Es gab Tage, an denen hasste ich diesen Job. Ich fühlte mich nicht unbedingt wohl dabei, mit guter Miene inmitten der Illuminaten zu sitzen.

Ich sah mich wieder um und zählte die Anwesenden durch. Es mussten ungefähr zwanzig sein. Lauter Anzugträger mit gekämmtem Haar und alle blickten augenscheinlich hoch interessiert nach vorne. Ein Beamer warf die Bilder von Finanzreporten an eine kahle, weiße Wand. Sie war genauso kahl und weiß wie der Rest des Raumes und ich fragte mich, ob es jemand merken würde, wenn ich nach der Präsentation den Full HD Beamer mitnehmen würde.
So etwas fehlte mir noch in meiner Wohnung.

Seufzend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und betrachtete die Präsentation. Es war schließlich ein großer Schritt in Richtung Missionsziel gewesen, dass ich das Vertrauen der zehn höchst angesehensten Illuminaten in Hamburg gewinnen konnte. Acht Monate musste ich mich beweisen, gefälschte Informationen der Drachen beschaffen, einige Unterschlüpfe ausheben und mich sehr tief bücken, um die richtigen Stellen zu küssen, damit ich nun hier sitzen durfte- welch eine Errungenschaft. Aber ich ertrug es einfach, denn ich wusste, dass diese Mission nur noch einen Monat andauern würde, dann konnte ich mich wieder auf den Weg nach Berlin machen.

Zudem stand ein Termin mit Garcia an diesem Abend an. Irgendetwas wichtiges, sonst wäre er nicht das Risiko eingegangen, mich hier zu kontaktieren. Ich fragte mich, was bei dem Treffen wohl heraus kommen würde. Ich sah auf die Uhr. In drei Stunden sollte ich es erfahren und ich wollte gerade meine Augen etwas ausruhen, da wurde ich von der Seite angesprochen:
„Hey Aiden. Was hältst Du von einem kleinen Trip heute Abend? Ein wenig den Kiez unsicher machen?“, Andreas Krosse alias Dervan sah mich fragend an. Er war einer dieser Menschen, die man auf Anhieb sympathisch fand. Zumindest ich tat es. Seit ich in den Räumen der Illuminaten umher ging, wich er mir zwar kaum von der Seite, aber er war immer hilfsbereit gewesen und ich konnte mich stets darauf verlassen, dass es zumindest eine Person hier gab, die ein gutes Wort für mich einlegte. Er sah nicht aus wie der typische Bürokrat, mit seinen zerzausten Locken und dem Sunnyboy Grinsen, sollte er lieber am Strand liegen und hübschen Frauen nachsehen. Aber er war hier und er wollte mit mir ausgehen. Für einen kurzen Augenblick dachte ich in die falsche Richtung. Aber nur für einen Kurzen.

„Sorry, aber ich werde heute Abend einen Abstecher zu einem alten Freund machen. Alte Bekanntschaft aus meiner Zeit in Hamburg, wenn Du verstehst.“ Natürlich verstand er nicht, ich konnte es an seinem enttäuschten Gesichtsausdruck ablesen. Dennoch nickte er und wandte sich wieder der Präsentation zu. Seltsamerweise fühlte ich mich in diesem Augenblick sehr schlecht, dass ich Dervan anlügen musste. Das Leben als Maulwurf war nicht immer einfach.
Ich sah ebenfalls wieder nach vorne und wenn ich es richtig sah, näherte sich die Präsentation ihrem Ende. Zumindest der Sprecher wirkte etwas hektischer, auch er sehnte sich dem Ende entgegen und schaltete recht zügig zur nächsten Folie. Dann wurde die Wand grau und ein Funkenregen ergoss sich über mich. Der Beamer hatte seinen Geist aufgegeben und wir saßen im Halbdunkel. Ein Raunen ging durch den Raum, dazwischen konnte man den einen oder anderen erleichtert aufseufzen hören. Ich unterdrückte ein bedauerndes „Scheiße“ und betrachtete die verschmorte Unterseite des Beamers über mir. Anscheinend hatte da jemand mit Magie nachgeholfen, denn die Stelle an der linken hinteren Ecke des Beamers, die qualmte, war irgendwie untypisch dafür, dass das Netzteil durchgebrannt war. Ich grinste und stand auf. So hatte ich noch etwas Zeit auf meine Zimmer zu gehen und meine Beine lang zu machen, bevor ich zur Reeperbahn fuhr.
Garcia musste unbedingt einen der zwielichsten, ich nenne es mal Clubs, für unser Treffen wählen. Ich kannte Hamburg und ich kannte auch die dunklen Gegenden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dort von einem Templer oder Illuminaten überrascht zu werden, war gering. Also sollte es so sein.
Während die anderen Anwesenden sich noch darüber besprachen ob man den Beamer schnell austauschen und die Präsentation noch beenden könnte, machte ich mich auf den Weg zum Fahrstuhl. Die Gänge des Hotels waren relativ leer und so konnte ich den steifen Gang, den ich mir in Gesellschaft des anderen Agenten angewöhnt hatte, ablegen und meine armen Muskeln etwas entspannen. In meinem Zimmer drei Etagen weiter oben angekommen, schmiss ich mich auf das weiche Doppelbett und schaltete den Großbildfernseher an.

Wenn es einen Vorteil hatte, zu den Illuminaten zu gehören, dann, dass sie nicht geizig waren. Es wurde einem jeglicher Luxus gewährt. Und das nutzte ich schamlos aus. Das Abendessen bestand aus einem Steak, natürlich medium, mit Bratkartoffeln und frischen Zwiebeln. Das Bier dazu rundete das Mahl ab und mit einem wohligen Gefühl ließ ich mich in mein Kissen sinken.

Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich im Land der Träume, aus denen ich recht unsanft heraus gerissen wurde, als jemand sehr energisch an meiner Zimmertür hämmerte. Noch halb im Tiefschlaf versuchte ich den Störenfried zu ignorieren, doch ergab nicht auf. Nur langsam überkam mich das Gefühl, dass irgendetwas falsch war. Richtig, ich hatte geschlafen. Ich hatte geschlafen und mir keinen Wecker gestellt. Ich hatte geschlafen, mir keinen Wecker gestellt und wusste nicht wie spät es war. Garcia!

Wie von einem Schwarm Bienen verfolgt, sprang ich auf und rannte, den klopfenden Besucher ignorierend, ins Badezimmer und sprang unter die Dusche. Fünf Minuten später stand ich eingekleidet vor der Zimmertür und riss diese auf. Der nächste Schock überkam mich, als mir jemand den Lauf einer Pistole zwischen die Augen hielt.

„Wohin des Weges?“, ein weit ausfallender, schwarzer Ärmel nahm mir die Sicht auf mein Gegenüber, aber ich erkannte die Stimme. „War das Trinkgeld nicht großzügig genug? Oder wird man seit neustem auf konventionelle Art her zur Kasse gebeten?“.

Garcia nahm die Waffe herunter und grinste mich unter seiner blauen Pagenmütze hervor an. „Du hast mich sitzen lassen, Aiden. Ich mag es nicht besonders, wenn man mich sitzen lässt. Hier ist nicht der richtige Ort, lass uns verschwinden.“ Ich nickte und folgte dem untersetzten Bediensteten durch den Personalausgang nach draußen. Hinter dem Hotel warf Garcia die Hoteluniform in die nächstbeste Mülltonne und ging nun im gewohnten Nadelstreifen Anzug neben mir her. Ich fragte erst gar nicht danach, woher er die Uniform hatte auch nicht, welcher arme Tropf sie hergeben musste. Ich folgte Garcia einfach schweigend. Bis wir an der Alster vorbei kamen.

„Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte ich während ich die Wasserfontäne in der Mitte des Gewässers betrachtete.
„Einen Trinken, ich kenne eine Kneipe, in der uns niemand belauschen wird.“, die Antwort genügte mir erst einmal. Ich musste schmunzeln, während ich so vor mich her trottete. Ich wusste zwar, dass Garcia ein Hitzkopf war, aber dass er sich so weit vor wagen würde, nur um mir vorzuhalten, dass ich ihn habe sitzen gelassen, amüsierte mich. Ich nahm mir fest vor, dass bei Gelegenheit auch zu tun.

Der Weg kam mir endlos vor und als ich die hell leuchtenden Neonreklamen sah, die die Bars, Clubs und Bordelle der Reeperbahn erleuchteten, war mir auch klar, warum. Meine Begeisterung über Garcia entglitt mir wieder, als ich bemerkte, dass er mich nicht nur persönlich aus dem Hotel geholt hat, sondern nun auch darauf besteht, dass wir am vereinbaren Ort einen trinken gehen. Na gut, ich spielte sein Spiel ohne Murren mit. So lange er das Bier bezahlen würde.
Wir gingen an einigen Bars vorbei, vor denen mehr oder weniger attraktive Frauen um unsere Gunst buhlten, bis Garcia stehen blieb. Ich schaute mich um und musste wieder grinsen. Wir standen vor einem dunklen Eingang zwischen zwei gespreizten Beinen.

„Willkommen im Ritz!“, zwinkerte Garcia mir zu und ging hinein. Der Abend begann mir zu gefallen. Im Inneren des Ritz sah es leider nicht besser aus, als in manch anderer Kneipe. An Tischen und einer Bar saßen Betrunkene, in einer hinteren Ecke wurde Billard gespielt und Spielkarten wurden verteilt. Die Kneipe war voll und es roch nach Rauch, Schweiß und Fäkalien. Eklig genug, um sich einigermaßen sicher zu fühlen. Vorsichtig schlängelte ich mich zwischen den Kneipengängern hindurch, rempelte dabei einen sehr betrunkenen Typen an. Der Kerl lag halb auf einem Barhocker und sah durch seine langen Haaren zu mir auf. Er brummte irgendetwas, ich entschuldigte mich kurz aber alles was ich von ihm als Antwort bekam war: „Deiner Mudder tut es leid, man!“. Ich lächelte ihn an, nickte und ging weiter.

An einem der hinteren Tische nahmen wir Platz. Wir schwiegen weiterhin, bis die Bedienung unsere Bestellung aufgenommen und diese auch an den Tisch gebracht hatte. Dann unterbrach Garcia das Schweigen.

„Auf dein Wohl, Rafael, Du hast gute Fortschritte gemacht, seit dem du den Auftrag angenommen hast.“, habe ich mich gerade verhört? Lobte Garcia mich gerade? Garcia? Der selbstgefälligste Drache, den ich je kennen gelernt habe? Ich konnte meine Verwunderung in diesem Moment nicht verbergen, was dem Italiener auffiel und er grinste. „Ich weiß, es ist eine sehr große Ehre, von mir gelobt zu werden. Es freut mich, dass ich dir diesen Gefallen tun konnte.“, okay, die Welt war noch in Ordnung.

„Komm auf den Punkt, Garcia. Ich hatte einen langen Tag und meine schlechte Laune wirft nur einen Schatten in den glanzvollen Schein, der dich umgibt.“ Es musste mein trockener Tonfall sein, der ihn irritiert hatte. Aber für einen kurzen Augenblick konnte ich so etwas wie aufkeimende Wut in den rehbraunen Augen meines Gegenübers entdecken. Aber Garcia hatte sich gut im Griff und nun war ich an der Reihe, mein unschuldigstes Lächeln aufzusetzen.
„Noch heute Nacht findet ein Treffen statt. Ich notiere dir die Adresse und erwarte dich dort in zwei Stunden. Komm nicht wieder zu spät“. Garcia notierte etwas auf einer Servierte und schob sie mir rüber, dann legte er ein paar Geldscheine auf den Tisch, kippte sein Bier in einem Zug herunter und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Ich nickte zurück und lehnte mich zurück. Das Geld sollte reichen um die nächsten zwei Stunden über die Runden zu kommen. Ich betrachtete die Adresse und korrigierte meinen Plan. Ich musste das Geld innerhalb der nächsten halben Stunde ausgeben. Schnell rief ich die Bedienung.

Drei Bier und einen Jägermeister später, verlangte die Natur nach ihrem Recht und ich erhob mich mit wackeligen Beinen. Die Kneipe wirkte gar nicht mehr so dreckig wie in dem Augenblick, als ich sie betreten hatte. Ich grinste in die Runde und zwinkerte einer Tischgruppe zu, die mir finster entgegen sah, als ich mit einem unkontrollierten Schwenker meines Armes, ein Glas auf deren Tisch umwarf. Ich gab mir keine Mühe, mich hier zu benehmen. Warum auch, die beste Art nicht aufzufallen, war hier, so auffällig wie möglich zu sein. Bei den Toiletten angekommen, war ich mir einen kurzen Augenblick unsicher, welche Tür ich öffnen sollte. Aber zu meinem Glück, musste noch ein männlicher Gast sein Geschäft erledigen und ich folgte ihm einfach. Es gibt ja nichts erleichterndes, als das Bier vom Abend wieder los zu werden. Ich genoss den Augenblick der Ruhe, nahm kaum wahr, dass ich alleine in dem Raum war und war durchaus überrascht darüber, dass zwei hochgewachsene Gestalten die Tür versperrten, als ich fertig war.

„Hallo Aiden, gehört es auch zu deinen Aufgaben, dich mit den Drachen abzugeben? Haben wir da etwa einen Verräter in unseren Reihen?“. Ich war mir nicht sicher, was mich mehr ärgern sollte. Dass ich es nicht bemerkt hatte, dass ich beschattet wurde, oder dass es ausgerechnet Dervan war, der mir den Weg versperrte.

Die Situation war unangenehm. Ich wollte dem armen Jungen nicht wehtun, aber ich konnte es auch nicht riskieren, enttarnt zu werden.
Ich sah mich nun etwas genauer im Raum um. Die Benommenheit durch den Alkohol war wie weggeblasen. Ich war wieder Herr über meine Sinne und lächelte Dervan an.

„Hallo. Mit dir hätte ich hier ja am wenigsten gerechnet. Wolltest Du nicht gemütlich einen trinken gehen? Da halte ich diese Absteige hier nicht für den richtigen Ort.“

Ich nestelte an meinem Jackett herum. Ich spielte den Nervösen, der gerade auf frischer Tat ertappt wurde. Okay, es war nicht schwer, da es ja auch so war, aber Dervan musste wirklich davon überzeugt sein, dass ich Panik bekam.

„Lenk‘ nicht ab…“, Dervan machte eine lange Pause und sah zu seinem Kollegen hinüber. Ein schmächtiger Typ, der anscheinend genau wie Dervan noch nicht lange dabei war. Neugierde strahlte förmlich aus seinen Augen. Sie würden eine leichte Beute abgeben.
„…Ich werde dir die Gelegenheit geben, dich erstmal zu erklären, bevor wir dich abführen. Du wirst an höchster Stelle diese Situation schildern müssen.“
Das klang doch viel versprechend. Ich konzentrierte mich und spürte einen leichten Schauer durch meinen Körper fahren. Ich konnte mich nicht lange mit den beiden aufhalten, also blieb nicht viel Zeit zum Reden. Mein Mobiltelefon klingelte.

Wir sahen uns schweigend an. Auf eine seltsam amüsante Art und Weise, wirkte der Song „I feel good“ von James Brown etwas grotesk. Auch wenn er meine Gefühlslage gut ausdrückte. Ein passender Song für das, was kommen sollte.

„Jetzt geh schon dran.“ Ich sah Dervan in die Augen und konnte auch seine Unsicherheit erkennen. Mit zaghaften Bewegungen griff ich in meine Innentasche und holte das Handy heraus. Ich nahm ab. Nach kurzem Nicken und einem „Natürlich können Sie ihn sprechen.“, reichte ich Dervan das Telefon.
Er sah mich verblüfft an und wirkte, als wenn er zum ersten Mal in seinem Leben ein Mobiltelefon gesehen hätte. Ich lächelte weiter.
„Es ist für dich. Naja, eigentlich für einen der Agenten, die mir zur Reeperbahn gefolgt sind.“ Jetzt sollte sich heraus stellen, ob Dervan wirklich so gutgläubig war, wie ich ihn einschätzte.

Der zweite Illuminat wollte nach dem Telefon greifen, Dervan sah die Bewegung und kam ihm zuvor. „Hey, Stefan, ich bin der höherrangige von uns beiden!“ Sie funkelten sich einen Augenblick an, dann nahm Dervan das Telefon ans Ohr. Mehr als ein „Ja?“ konnte er nicht mehr sagen, als ihn der Blitz traf. Ich sah zu, wie Dervans Körper erschlaffte und sich seine Augen nach innen drehten. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug, nahm ich ihm das Handy wieder aus der Hand. Das brauchte ich noch. Sein Kollege stand etwas verblüfft da und schaute auf den noch zuckenden Körper herunter.

„Hey Freundchen, das hier muss nicht so enden. Wir können einfach zusammen daraus gehen und verpacken dass hier als ‚Dervan hat zu viel getrunken’ Geschichte. Was hältst Du davon?“ Ich spürte die Magie, die der kleine Mann aufbaute. Noch einer, der ein Gefühl für Anima hatte. Diese Situation begann interessant zu werden. Ich stelle mir einen Sturm vor, der durch das Klo brauste, während sich zwei Agenten gegenüberstanden. In ihren Händen Feuerbälle und auf ihren Gesichtern der blanke Hass. Sie stehen im Auge des Sturms, abgeschottet von der Außenwelt. Es gibt nur sie beide, den herannahenden Tod und den kleinen Geigenspieler mit Hut und Becher vor sich, der den Soundtrack von Matrix auf seiner Laute spielt. Ich musste grinsen.

Stefan fand das alles anscheinend überhaupt nicht zum Lachen und sah endlich von seinem Kollegen hoch: „Du Hurensohn! Dafür wirst du bezahlen.“ Ohja, das würde ich. Aber nicht heute und hier. Es wurde kalt in dem Raum, von draußen hörte ich jemanden an die Tür klopfen. Magie versperrte den Eingang. Ich beobachtete den Illuminaten, wie er sich anstrengte, mir einen Kälteschock zu verpassen. Der Bengel war wirklich noch grün hinter den Ohren. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und stellte fest, dass der kleine dermaßen konzentriert war, dass er sich nicht regen konnte. Mit zwei weiteren Schritten und einen kräftigen Stoß, hörte ich seinen Schädelknochen am Waschbecken bersten.

Denkt jetzt nichts Falsches von mir. Ich gehe ungern derartig brutal vor. Aber ich hatte es eilig und der kleine konnte in seiner Wut sehr unkontrollierte Animaeruptionen hervorrufen. Was unangenehm für beide hätte werden können. Außerdem musste ich sicher gehen, dass niemand meine Doppelidentität preisgeben konnte.

Ich klopfte mir die Hände ab und betrachtete mein Werk. Dervan lag noch immer zuckend auf dem Boden. Ich ging davon aus, dass diese Nervenentladungen noch ungefähr zehn Minuten so weiter gehen würden, bis sein Köper endgültig erschlaffte. Stefan war bereits auf den Boden gesunken und hatte eine Blutspur am Waschbecken und der Wand hinterlassen. Einige Toilettentüren waren vereist und drohten bei der kleinsten Berührung zu zerspringen. Ja, das war doch ein Musterbeispiel für unauffälliges Verhalten.

Ich atmete einen kurzen Moment durch und sah mich wieder um. Zum Glück hatte dieses WC ein Fenster. Es war zwar sehr schmal, aber mit etwas Quetschen und Ziehen würde ich da schon durchpassen. Das Gitter ließ ich unter Aufbringung einiger Feuerbälle schmelzen und beeilte mich nach draußen zu klettern. In dem Moment versiegte die Magie, welche die Tür verschlossen hatte und ich hörte wie jemand in den Raum platzte und anfing laut zu schreien, als er die Bescherung sah.

Ich schlich über den Hinterhof und kletterte über eine Mauer, um mich dann auf meinen Weg zum Treffpunkt zu machen. Ich hatte zehn Minuten, das war natürlich unmöglich und ich sollte mir von einem der Zirkelvorsteher wieder einen Vortrag anhören, wie wichtig es denn wäre, zu den seltenen Treffen pünktlich zu erscheinen. Aber ich hatte diesmal eine gute Ausrede.

Unterwegs riss ich mir die blonde Perücke vom Kopf und fingerte die blauen Kontaktlinsen aus meinen Augen. Habt ihr schon mal versucht, Kontaktlinsen während eines schnellen Schritts in aller Öffentlichkeit heraus zu holen? Selbst mitten in der Nacht, in der Nähe der Reeperbahn war das wohl ein ungewohnter Anblick für die Passanten. Ich machte gute Miene zum bösem Spiel und verschwand in einer Seitenstraße, um meine Utensilien fachgerecht zu entsorgen. Eine Mülltonne, ein Feuerball und diese Beweisstücke waren vernichtet. Nur den Anzug konnte ich nicht wechseln. Nackt zum Treffen zu erscheinen erschien mir dann doch zu gewagt. Na, hoffentlich hielt mich nicht wieder jemand für einen Illuminaten.

Ich wanderte wieder um die Alster und genoss für einen Augenblick die beruhigenden Wellen, die das Wasser schlug. Auf einem umfunktionierten Hausboot saßen Leute im Alex und feierten laut. Es war relativ warm draußen und die Gespräche vom Deck hallten zu mir herüber. Ja, Hamburg hatte seine Reize. Wären da nicht diese verdammten Illuminaten gewesen, die es einem echt schwer machten, seinen eigenen Operationen nach zu gehen.

Ich wühlte gelangweilt in meinen Taschen und wunderte mich über die Spielkarten und den Dollarschein, den ich bei mir trug. Naja, die Karten sollten das Treffen etwas angenehmer gestalten. Auch wenn wir so einige Magier im Zirkel hatten, mochten doch viele meine Zaubertricks und eine gepflegte Runde Mau-Mau am Abend verhalf jeder Feier zu dem gewissen Etwas. Ich steckte die Karten wieder weg und legte die Dollarnote einem Obdachlosen in den Becher. Sicher würde er sich darüber freuen.

Nach gefühlten drei und tatsächlich einer Stunde kam ich dem Treffpunkt nahe und wurde langsamer. Irgendetwas war hier faul. Ich konnte den unverkennbaren Geruch von Blut und Schwefel riechen. Hier hat es eine Schießerei gegeben!

Noch vorsichtiger schuf ich mir einen Weg durch ein Gebüsch um die Halle herum, in der das Treffen stattfand. Am hinteren Ende der Halle sah ich zwei durchlöcherte Körper liegen. Sie hatten alle viere von sich gestreckt, als wären sie beim Versuch, schnell zu fliehen, erschossen worden. Es waren Mitglieder unseres Zirkels. Ich näherte mich den beiden und wendete ihre leblosen Körper mit dem Fuß. Ja, ich kannte diese Gesichter. Eines davon war Michael. Der Agent, mit dem ich Monate in Amsterdam verbracht hatte. Wir waren so etwas wie Freunde gewesen. Und ich schuldete ihm noch hundert Euro wegen des Lackschadens an seinem Wagen. Das hatte sich nun wohl erledigt. Ich zückte eine Zigarette und zündete sie mit einem kleinen Funken an. Erst mal tief durchatmen.

Ich ging zwischen den Leichen in der Halle umher, um Garcia zu finden. Aber entweder er gehörte zu den Typen, denen mit einer Bleiladung das Gesicht zerfetzt worden war oder er war nicht hier. Letzteres schloss ich aber aus. Bei dem Aufwand, den er betrieben hatte, mich hierher zu zitieren… Moment. Mir kam ein Gedanke. Ein böser Gedanke, Etwas gar nicht gutes. Einer dieser „was wäre wenn“-Gedanken. Ich konnte diesen Gedanken aber nicht zu Ende führen, da ich Schritte aus der Halle hörte. Ich zupfte an meinem Anzug und ging leise hinein.

Anscheinend hatte sich ein weiteres Mitglied unseres Zirkels verspätet. Eine junge Frau lief durch das Blutbad in der Halle. Sie schien ein wenig schockiert. Als sie näher kam, erkannte ich sie. Es war die Tochter vom Tokugawa. Die hatte mir doch den Anzug ruiniert.

Sie hier zu sehen war erfreulich. Ein hohes Tier hatte überlebt und sie hatte die nötigen Kontakte, um diese Sache hier klären zu können. Thazyria, der Name war alles, was mir in Erinnerung geblieben war, von dem kleinen Ding. Aber sie musste nicht wissen, dass ich mich an sie erinnerte. Vielleicht waren wir ja die letzten Drachen in diesem Land. Wie war das mit einer Nachzucht? Ich zog noch einmal an meiner Kippe und verdrängte diese Gedanken. Er war in dieser Situation unpassend.

Mit einem Grinsen auf den Lippen ging ich auf sie zu.

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