„Öffne die Augen, Bruder.“, die Stimme des Gangrel war sanft und es klang mehr nach einer Bitte, als einem Befehl. Dann wagte er noch einen weiteren Schritt auf seinen Gegenüber zu, sodass sein silbriges Haar vom Mondlicht gestriffen wurde. Loup Garou war noch immer das Raubtier, Wächter der Stadt und nie amtsenthobene Geißel. Doch der Respekt gegenüber des Vorsintflutlichen war vorhanden, nicht zuletzt da dieser unberechenbarer denn je geworden war.
Cuervo stand auf der anderen Seite des Kirchenkreuzes und hatte dem Gangrel den Rücken zugedreht, welcher über das Kreuz balancierte und sich nun mit einer Hand an dem Metall festhielt, wo das Kreuz seinen Zacken nach oben hatte. Noch immer war respektvoller Abstand zwischen den Beiden Geißeln, Cuervo stand direkt am Ende des Kreuzbalkens – ohne sich fest zu halten. Ein laues Lüftchen bewegte die Mäntel der beiden Vampire, die von dort oben die Stadt beobachteten.
Stumm verstanden sie einander, zumindest was die Belange der Stadt und ihrer Kreaturen betraf. Doch hatten sie unterschiedliche Ziele.
Loup Garou ließ seinen Blick schweifen: „Ich werde dich nicht unterstützen können, solange der Sabbat in der Stadt haust. Jemand hat Canis getötet, dafür wird die ganze Meute bezahlen. Ich bin selbst blind vor Hass, deshalb kann ich dir auch keine geeigneten Worte geben…“
Cuervo reagierte nicht, also sprach Loup weiter: „Normalerweise müsstest du mich jetzt davon abhalten, meine Maskerade zu brechen, die Sabbatis von meiner weiteren Existenz zu unterrichten… du solltest mir sagen, dass ich mich nicht von Gefühlen leiten lassen soll, die meine eigene Existenz in Gefahr bringen… das es das nicht Wert sei.“
Cuervos Kopf hob sich leicht, scheinbar hatte er den Blick von den Straßen genommen. Loup spannte sich an und sprach dann weiter: „Ich will nicht gehässig sein, Krähe, aber all dies, was du mir immer erzähltest, ist genau das, was ich dir jetzt erzählen müsste.“
Der Griff um das Kirchenkreuz, auf dessen Balken die beiden Kainiten standen, wurde fester. Loup hatte Cuervo mit den Sinnen fixiert, während der Malkavianer den Kopf nun leicht zur Seite nahm, sodass sein Auge, welches er jetzt öffnete, den Gangrel anblicken konnte. Schwarze Tränen waren an seinem Gesicht hinabgelaufen.
Allein Cuervos Blick reichte aus, um dem Gangrel ein paar scharfe Gedanken ins Hirn zu stechen.
Loup schüttelte sacht den Kopf: „Die Dünnblütigen tragen nicht die Schuld von Spider, lass sie…“, der Rest des Satzes ging in einem Schmerzenslaut unter und der Gangrel presste seine Hände gegen seinen Kopf. Zurückwankend ging er an seinem Ende des Kreuzbalkens in die Hocke und knirschte mit den gefletschten Zähnen. Ein roter Schleier vernebelte seine Sinne und als er endlich wieder die Fassung erlangte, spürte er heißes Blut seine Ohrläppchen hinabtropfen.
Langsam erhob er sich wieder, doch er war allein dort oben auf dem Kirchenkreuz.
„Scheiße!“
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