Tamara drückte nochmal auf die Hupe, doch es tat sich nichts. Sie reckte den Kopf aus dem Wagenfenster, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die ganze Kreuzung war dicht, die Ampeln waren ausgefallen und es herrschte Chaos.
„¡puta madre!“, fluchte sie und stieg aus. Sie orientierte sich kurz und führte ihre Reise zu Fuß fort. Im Vorbeigehen nahm sie ein paar Wortfetzen der Leute auf, die ebenso verzweifelt nicht mehr vor und zurück kamen. Das, was sie selbst schon zu Hause bemerkt hatte, schien überall zu sein: Der Strom war aus. Die Telefone gingen nicht mehr, Handys hatten kein Netz und das schon seit vielen Stunden. Die Kommunikation war völlig lahmgelegt, weshalb auch niemand so genau wusste was eigentlich passiert ist und was am wichtigsten war: Wie lange das so bleiben würde.
Tamara fing an zu Joggen, sie hatte da eine böse Ahnung. Nach zwanzig Minuten Dauerlauf kam sie schließlich am Krankenhaus an. Völlig außer Atem wankte sie durch den Eingang. Hier war die Hölle los. Es ging nichts mehr, die Patienten waren auf den Gängen. Sie hatten Angst und das PErsonal war hoffnungslos überfordert mit dem kompletten Systemausfall. Tamara wollte nicht wissen wie es in den Notfallstationen aussah. Ihre Schritte beschleunigten sich und sie rannte die Treppen hinauf.
Tamara riss die Tür auf: „Claudia?“
Der Raum war leer. „Verdammt, wo bist du!“, hastig schaute sie sich um. Irgendwo weinte ein Baby. Tamara sprintete los, rempelte ein paar Leute an – die Gänge waren wirklich voll. Dann war es ruhig, das Stimmengemurmel der Personen übertönte alles. Atemlos blickte die Spanierin sich wieder um. War Claudia überhaupt noch im Krankenhaus?
Ein Rollstuhl wurde weggeschoben, die Frau die darauf saß wehrte sich heftig. Tamara hatte bereits den zweiten Schritt gemacht, als sie schließlich auch das Baby sah. „Claudia!“, die zwei Personen am Rollstuhl beeilten sich nach Tamaras Ausruf. Ihr Ziel war der Fahrstuhl, noch während die Türen aufgingen, war Tamara bereits wieder im Treppenhaus. Hier konnte sie unbemerkt ihre Pistole durchladen.
Zwei genaue Treffer, die keiner gehört hat, dank ihres Schalldämpfers. Nur zwei rote Punkte – einer auf der Stirn, einer im Herzen – gaben ein Indiz darauf, warum der Mann in sich zusammenbrach. Claudia schrie auf, als der zweite ihr ein Messer an den Hals legte und sich mit ihr hinter einem Wäschekontainer verschanzte. Tamara nutzte die Ecke des Ganges um vorzeitig aus seinem Sichtfeld zu gelangen. Man hörte ein herzzerreißendes Weinen, Claudias Kleine spürte die Angst ihrer Mutter deutlich.
Es dauerte etwas, Tamara dachte gerade angestrengt darüber nach, wie sie diese Situation handhaben sollte, als der Kontainer an ihr vorbei durch den Gang rutschte. Die Überreste des Entführers klebten zermatscht daran. Erstaunt schaute Tamara wieder um die Ecke. Dann näherte sie sich vorsichtig.
Stefan schüttelte die Fleischüberreste von seinem Arm und griff sich sofort den Rollstuhl. Tamara schüttelte den Kopf: „Wir müssen hier raus… und dabei erzählst du mir am besten, was du eigentlich bist….“, sie fungierte als Geleitschutz der kleinen Familie. Stefan atmete schwer und sah ein wenig so aus, als müsse er sich zusammenreißen. Als die vier nach draußen in die Sonne kamen, sah sie es selbst.
Seine Fangzähne ignorierend führte Tamara sie weg vom Krankenhaus. Sie hatte eine Idee, wo man unter kommen konnte, ohne erneut Probleme zu bekommen…
Stefan bedankte sich mit einem Nicken, als die rundliche Spanierin ihm den Teller voll Essen vor ihn auf den Tisch stellte. Ein kurzer Blick zu Claudia, die zusammen mit ihrer Tochter auf der Couch lag und döste, ehe er sich das Besteck griff. Tamara bedankte ebenfalls, allerdings auf spanisch. Anschließend verschwand die ältere Frau wieder in der Küche, sie fragte Tamara in ihrer Heimatsprache etwas aus. Lautstark antwortete sie – während sie leiser mit Stefan auf deutsch redete:
„Sie sind hinter der Kleinen her, nicht wahr?“
Stefan nickte, während er kaute.
„Wegen dir?“
Ein weiterer Blick zu Claudia, ehe er antwortete: „Ja, willst du mich jetzt erschießen? Ich bin nicht wie diese… anderen Blutsauger. Ich trinke nichtmal Blut.“
Tamara erstach das Essen mit der Gabel: „Sicher, dass du nicht einfach ein Diener eines Vampirs bist? Die sollen auch kräftiger sein als normale Menschen….“
„Sicher bin ich mir nicht… aber ich bin vor fünf Jahren gewandelt worden…. jedenfalls soweit ich das zurückverfolgen kann.“
„Du bist dir also nicht sicher.“
„Ich war auf Drogen, okay.“
„Also kennst du weder deinen Vampirerzeuger, noch weißt du ob es wirklich wahr ist. Warum meinst du also bist du ein Vampir? Okay, du hast Fangzähne. Aber du kannst problemlos im Sonnenlicht umherwandern, du isst ganz normales Essen…und du hast eine Tochter.“
Stefan stach sich mit der Gabel in den Arm, Tamara zuckte überrascht zusammen. „Schau.“, meinte er. Sie blickte auf die Löcher, die er in seinem Arm hinterlassen hatte. Langsam hörte es auf zu Bluten bis sich die Wunden schlossen.
„Das beweißt gar nichts.“, stellte sie kühl fest. „Das können Ghule auch, wenn sie Vampirblut in sich tragen.“
„Da kennt sich jemand aus.“, Stefan stopfte sich das nächste Stück Fleisch in den Mund.
„Das gehört zu meinem Job, hat sie dir davon nie…“, Tamara presste die Lippen zusammen als sie Stefans finsteren Blick erntete. „Oh… entschuldige.“
„do jasnej cholery!“, fluchte Stefan auf polnisch und legte sein Besteck zur Seite.
„Entschuldige.“, Tamara senkte kurz den Kopf und schaute dann ebenfalls zu Claudia: „Aber wenn das wahr ist… und du ein Vampir bist… dann ist eure Tochter… wohl eine Halbvampirin… und zwar die erste.“
„Gehenna wszystko jest gówno warte“, grummelte Stefan.
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