Einleitung
Nachdem ich mich nun immer mehr mit dem Thema Frauen im Rollenspiel auseinander setzen musste, da ich mit einer Nadel in die Szene stach und auf einmal alles um mich herum explodiert ist, stieß mir unter Anderem (die Liste ist lang) eine Aussage bitter auf: Das Frauen ja nur die braven Rollen verkörpern könnten.
Sinngemäß kenne ich diese Annahme zwar vor allem aus dem Videospiele-Mehrspieler-Bereich, wenn die Spielerinnen vermehrt die Heiler oder Unterstützer einer Gruppe darstellen (natürlich gibt es auch hier keine Möglichkeit, dies alles in eine Schublade zu stecken, aber dazu an anderer Stelle mehr), aber aus dem Pen & Paper Rollenspiel Bereich? Ich musste stutzen und lange darüber nachdenken, ob ich oder die Spielerinnen, mit denen ich in meinen nun bald über 20 Jahren Rollenspielerfahrung zusammengespielt habe denn dieses Klischee erfüllten.
Nein, aber…
Ich habe vielen Spielerinnen ihre erste Rollenspielrunde beschert, sie überhaupt ans Rollenspiel herangebracht und bin somit für jene quasi für den Ersteindruck dieses Hobbys verantwortlich gewesen. Das gilt übrigens auch für männliche Spieler, aber die sind bei dieser Frage gerade außen vor. Viele dieser Spielerinnen waren auch zuvor keine Unbekannten, weshalb ich ihr Gemüt etwas einschätzen konnte. Worauf will ich hinaus? Der erste Charakter, den Frau erstellt, um dieses unbekannte Gefilde namens Rollenspiel zu ergründen prägt einen.
Meiner Erfahrung nach vergisst man diesen ersten Charakter nicht.
Was diesem Charakter geschieht, wie wohl man sich dabei gefühlt hat diesen zu spielen und auch wie die anderen Mitspieler darauf reagieren. Außerdem entscheidet dieser erste Charakter auch irgendwo mit, ob man beim Hobby Rollenspiel bleibt oder lieber die Finger davon lässt. Da ich eine Person bin, welche sehr stark mit Immersion (Eintauchen in die Spielwelt bzw. den Charakter) arbeitet, habe ich das natürlich auch auf meine männlichen und weiblichen Spieler übertragen.
Zurück zum Klischee der eher hilflos wirkenden Charaktere von Spielerinnen: Mein erster Charakter war eine DSA-Elfe. Ich suchte sie aus, weil sie zaubern und kämpfen konnte. Und weil ich spitze Ohren seit Spock einfach klasse fand. Meine Freundinnen waren eine Magierin, zwei Diebinnen und zwei Kriegerinnen. Es ergab sich schnell, dass das wechselnde Prinzip der Spielleitung immer wieder zu mir zurücksprang und so hängte ich schnell die Spielerkarriere an den Haken und wurde Vollzeit-Spielleiterin (Jeden. Tag. der. Sommerferien.).
In dieser ersten DSA-Konstellation gibt es nun also keine richtige Tendenz für eine typische Frauenrolle. Überraschung!
Das Einzige, was ich dazu vielleicht statistisch gesehen sagen kann: Keiner der Jungs (wir waren ja im Alter von 12-16 Jahren) hat einen Magier gespielt. Galt die Rolle der Magiebegabten also als typische Frauenrolle?
Nein. Einer meiner Spieler entdeckte mit einem Mal die Möglichkeiten der Magie und kam von dem Konzept gar nicht mehr los. Die Frage, was eine typisch männliche oder typisch weibliche Rolle spielte kam überhaupt gar nicht auf. Die Rolle war schlichtweg egal. Was die Rolle gut oder schlecht konnte, war egal. Es galt einfach: Kämpfe ich lieber in erster Reihe, ist mir Schleichen wichtig oder setze ich mich mit Magie auseinander?
In Aventurien konnte man sich komplett entfernt von der realen Welt so einfach bespaßen.
Sprung in die Dunkelheit
Anders sah es dann aber schon aus, als ich von der gleichen Freundin, die mich damals zu DSA und damit zum Pen&Paper Rollenspiel gebracht hat in die Welt der Dunkelheit gezerrt wurde. Mit einer frühen Version von Vampire, die Maskerade saß man auf einmal in einer Spielwelt, die der realen Welt so viel ähnlicher war. Das war kein weit entferntes Fantasy mehr, welches man wie ein Buch* weglegen konnte. Es fühlte sich so echt an.
Hier kommen wir zurück zum ersten Charakter. Mein erster Charakter in der Welt der Dunkelheit war eine Toreador, eine Theather-Schauspielerin, die von ihrem Erzeuger im Backstage-Bereich quasi dazu überredet wurde ihre Künste für die Ewigkeit zu vergolden, indem er sie zum Vampir machte. Wir spielten das, da ich keine Ahnung hatte, als Prolog des Charakters. Nachfolgend stolperte mein Charakter von einem Dilemma ins nächste, wurde ausgenutzt, verraten und von einem Kind gebliebenen Vampir herumkommandiert.
Nicht nur, dass dieser Charakter die absolute Opfer-rolle verkörperte, welche in dieser Welt nichts zu suchen hatte. Rückblickend ist dies für mich diese Klischeehafte Frauenrolle, von der man ja so hört.
Der erste Charakter.
Ich habe nach dieser einen Spielsession mit diesem Charakter nie wieder etwas derartiges gespielt. Aber ich hörte deshalb nicht auf mit Rollenspiel. Ich wählte sogar ziemlich bald die Welt der Dunkelheit als meine neue Heimat. Dies lag aber daran, dass mir das Heldentum von DSA zum Hals raus hing und ich diese Anti-Helden und Beinahe-Bösewichte lieber mochte. Aha, jetzt kommen wir ja bald mal zum Kern dieses Beitrags.
Meine neuen und alten Spielerinnen leckten ebenfalls schnell Blut und hier zeigte sich ein ähnliches Phänomen: Die ersten Charaktere spiegelten sehr menschliche Frauengestalten wider. Diese Welt war einfach so nah an der Realität, dass man ein paar Eigenschaften von sich selbst nahm und diese in den Charakter steckte. Dabei waren die Rollen keineswegs unbeholfen oder machtlos – sie deckten sogar bewusst weibliche Klischees ab und hatten dabei ein Ass im Ärmel.
Aufgrund unseres starken Immersions-Spieles ging es auch mehr um die Charakterentwicklung, die Geschichte der Charaktere als um das „Abenteuer“. Was wir in DSA so entwickelt hatten, war in der WoD so viel einfacher umzusetzen. Doch hier war auf einmal eine sichtbare Rollenverteilung zu erkennen. Die Toreador galten als Clan, den ja nur Frauen bespielen würden. Die Brujah waren nur was für Männer.
Vielleicht lag es daran, dass wir mittlerweile alle älter waren und die Auswahl an SpielerInnen, mit denen man regelmäßig spielte sich vervielfacht hatte. Was ich aber sicher weiß: Die Spieler, die nach einem „typischen“ Clan ihres Geschlechts griffen, waren in den seltensten Fällen mehr als eine Spielrunde dabei. Für die war das Rollenspiel mal ganz nett zum ausprobieren, aber ein gutes Brettspiel hätte es sicher genauso getan. Hier sind wir nun bei verschiedenen Rollenspieltypen, die dieses Hobby eben unterschiedlich ernst bzw. intensiv nehmen.
Das Böse?
Die Welt der Dunkelheit ist aber mehr als nur ein Abbild unserer realen Welt mit ein paar Übernatürlichen Wesen. Sie ist düster, man möchte eigentlich nicht darin leben. Dabei kamen auch Spielercharaktere dabei heraus, die nicht bloß Anti-Helden waren, sondern ziemliche Arschlöcher. An dieser Stelle sei gesagt, dass sowohl Spieler wie auch Spielerinnen von mir diese Art der Charaktere bespielt haben. Geschlechtsunabhängig wurden dabei regelrechte Monster erschaffen, die einfach Spaß an Mord und Zerstörung hatten. Die andere Variante war das intelligente Superhirn, welches die Gesellschaft um sich manipuliert und unterjocht hatte (andere Spielercharaktere inbegriffen). Ich nehme mich da nicht raus, denn solche Geschichten habe ich sowohl als Spielleiterin wie auch als Spielerin erzählt.
Ohne nun noch weiter auszuholen kann ich zusammenfassend sagen, dass dieses spielen von bösen Figuren so lange gut geht, bis Grenzen überschritten werden. Dies bezieht sich sowohl auf die Spielleitung, welche die bösen Machenschaften mit Konsequenzen bedenkt (ich wurde anschließend respektlos behandelt und habe die Gruppe aufgelöst) aber vor allem auch auf die Spieler, sobald eine gewisse Art von PvP (Player versus Player) stattfindet. Insbesondere bei Vampire passiert dies schnell, wenn man das typische Intrigenspiel komplett auslebt. Sobald aber Aktionen von Spielerfiguren ernsthaft anderen Spielerfiguren Schaden zufügen ist der Spielspaß oft weg. Das muss so nicht ablaufen, aber bei den Tischrunden, die ich damals nun eben auch mit jüngeren Mitspielern abgehalten habe, führte dies zu zähen Diskussionen außerhalb des Spieles, die leider wenig Einsicht mit sich brachten.
Kann man also nun keine „bösen“ Charaktere spielen? Soll es sich beim Rollenspiel nicht eigentlich um das „Gute“ oder wenigstens um Anti-Helden handeln? Das kommt ganz darauf an, ob alle Beteiligten da in die gleiche Richtung streben und wie man mit dieser Art zu spielen umgeht.
Als Spielleiterin habe ich natürlich viele Möglichkeiten dieses „Böse“ darzustellen. Da es in meiner Welt aber selten schwarz-weiß zugeht und sich ein Antagonist in seiner eigenen Geschichte als Protagonist sieht, ist es nicht immer offensichtlich was nun „Böse“ ist – gerade in der Welt der Dunkelheit, wo alles irgendwie schrecklich sein kann.
Aber so arbeite ich auch mit meinen eigenen Spielercharakteren. Es gibt Gründe, warum diese so handeln, wie sie es eben tun. Das ist kein wahlloses Ich-hau-alles-kaputt-weil-ich-es-kann. Außer es ist eindeutig Größenwahn im Konzept des Charakters definiert und die ausführende Kraft ist eben körperlich.
Der Grund, warum mir die eingangs sinngemäße Aussage über Frauenrollen so aufstieß, mich gar zum irren lachen verleitete ist nämlich folgender: Alle meine Spielercharaktere, die ich seit der ersten Berührung mit der Welt der Dunkelheit erstellte haben eine dunkle Seite. Denn diese erste Vampirin, die ich da hatte zeigte mir ganz deutlich: Das will ich nicht spielen.
Das ist langweilig.
Deshalb erzähle ich bei Interesse in Zukunft ein bisschen von meinen Charakteren, die bereits vor dem gemeinsamen Spiel ein paar Leichen in ihrer Geschichte verursacht haben.
*Ein gutes Buch legt man auch nicht einfach weg, ohne noch gedanklich in der Welt zu hängen.
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