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Schutzengel

„Seltsam, dafür das Ihr soviel Yin in Euch tragt, seid ihr doch so voller Wut.“

Er hatte einfach keine Ahnung. Dabei müsste er, als Kuei-Jin doch besser über das Gleichgewicht Bescheid wissen als ich… Aber warte… Yin? Das Element der Ruhe, des rationalen, des Grauens…. Tod. Was war mit mir passiert? Natürlich war ich wütend! Er wusste doch ganz genau, dass er mich mit all diesen Eindrückenr eizen konnte. Und da wunderte er sich nun auf einmal, dass das Yin – der Egoist – darauf ansprang?

Die Stimme des Daimyo klang nach in meinem eigenen Dojo, welcher mir schon so oft im Geist oder Traum ein Zufluchtsort war. Nicht allzu lange ist es her, da habe ich hier nicht nur Wortgefechte mit Ryuo ausgetragen. Jetzt kommt mir dieser Ort seltsam leer vor, obwohl ich doch immer nur mit mir selbst alleine hier war. Aus irgendeinem Grund ertrage ich das nicht und schaffe mir einen Spiegel. Schmucklos.

Darin sehe ich mehr als nur meine eigene, niedergeschlagene Gestalt. Eine junge Frau blickt mich aus traurigen Augen an. Rain? Jasmin? Anastasia? Rin? Ich drehe mich herum, aber da ist niemand. Doch mein Spiegelbild zeigt sie wieder – ich deklariere es als schlechtes Gewissen, da die Gestalt nie wirklich eindeutig ist. Im Hintergrund, nicht greifbar und doch unangenehm genug, um sie wahrzunehmen.

Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Fragend blicke ich mich selbst an, suche wie ein kleines Kind nach Antworten in einem Spiegelbild meiner selbst. Blau sind meine Augen, wie die eines Neugeborenen. Ist da noch soviel Platz, bin ich noch so jung, so frisch in dieser Welt? Ich weiß überhaupt nichts. Mutlos setze ich mich auf den Boden.

„Ihr seid keine Anfänger mehr.“ – warum konnte ich Gambit nicht glauben? Warum fühlte ich mich immer noch so hilflos und schwach? Vor mir auf dem Boden liegen die Einzelteile der Desert Eagle, irreparabel aber die Erinnerung an eine unverzeihliche Handlung. Ein Teil von mir ist mit Inga gestorben.

Ich wische die Träne weg, welche ohne mir ersichtlichen Grund aus meinem Auge tropft. Hätte ich es nicht getan, dann wäre Anastasia… ja was dann? Ich hebe den Blick wieder zu dem Spiegel und sehe Umeko. Nackt, in ihrer vollen Schönheit. Sie lächelt verführerisch.

Yin.

Mein Körper schuppt sich, die Haut wird erst Dunkel, dann bilden sich kleine Knospen aus Horn. Drachenschuppen. Vollkommenes Vergessen. Die Augen unter dem Drachenschädel, der den Helm der Rüstung trägt glimmen noch immer blau.

„Was ist mit der Frau die du liebst?“, fragt Umeko wieder. Voller Angst. Ich greife mir ans Herz, erwarte das es schmerzt. Aber da ist… nichts.

Nichts? Oh…

Du hast dein Herz ausgelagert, Teshi. – Es klingt wie Ryuo, doch überhaupt nicht mit Arroganz oder Sieg darin. Eher… Mitleid?
Pass auf dein Herz auf. – Onoko, die gute Onoko. Das Herz des Kriegers… aber … was ist passiert?

Ich höre meinen Herzschlag im Spiegel. Er wird schneller, kurzlebiger. Wehrlos. Gefangen in einem Siegel der Zeit. In einem Ungeborenem. In Anastasia.

Als ich meine geschuppte Hand auf den Spiegel lege, fühle ich gar nichts. Nichtmal das kalte Glas. Ich wundere mich, denn es ist mir nichtmal egal. Da ist einfach garnichts. Aber das kann doch nicht sein. Wenigstens dieses Kind – mein Kind – müsste mir doch etwas bedeuten? Das ergibt alles keinen Sinn. Wenn der Drache wirklichd urch Ryuo verkörpert wurde. Das Yin – auch er war nie komplett gefühlskalt da war immer… Rache. Zorn. Hass. auch wenn es kalter Hass war. Aber da war etwas.

„Ich verstehe es nicht.“, stelle ich in meinen Gedankenraum hinein fest. Es ist nur eine Feststellung. „Was ist passiert?“

Mein Spiegelbild antwortet mir, es klingt viel Selbstbewußter als ich. Erwachsener. Älter?
„Erinnere dich. Du wolltest dich nie wieder auf Vampire einlassen. Du wolltest all das hinter dir lassen. Hast du das schon vergessen? Bist du immer noch süchtig nach ihr?“

Nein, das konnte nicht daran liegen. Anastasia und das Baby konetn mir doch nicht schon egal sein, so schnell geht das nicht!

„Manchmal muss man etwas loslassen, um es zu beschützen.“, mein Spiegelbild klingt wehmütig.

Wie… soll das gehen? Umeko war alles andere als in Sicherheit.

Ohrfeigen von mir selbst bekommen, darin war ich mittlerweile Meister. Ich war mein eigener Therapeut. Eigentlich… eine praktische Angelegenheit. Wenn auch schmerzhaft. Aber nur das wirkte wirklich.

„Niemand spricht von Umeko!“, wurde ich angeschnauzt. Der Krieger in der Drachenrüstung schien im Spiegel zu sein und auch nicht. Er war größer als ich, erhabener. Er war das Yin. Aber Mehr als das. Er sah das, was ich nicht sehen wollte… konnte. Warum sagte er es mir nicht einfach?

„Weil du nur lernst, indem dir Dinge vorgeführt werden. Dummkopf.“

Aber ich verstand es nicht, außer das es wehtat. Seine Augen glühten noch stärker, als würde das blau zu einer Flamme werden wollen: „Yin ist auch Chaos und du bestehst nur daraus. Dein ewiges hin und her ist deine Natur, also glaub ja nicht das du dem längere Zeit entfliehen kannst. Schon gar nicht mit so einer klaren Linie wie Vampirblut! Du weißt ganz genau, dass das nur vorübergehend ist!“, er tippte mit gegen die Brust. Aber ich hatte doch eine ganz andere Frage. Warum war alles so egal?

„Selbstschutz. Du bist auf zuviele Wege verletztlich. du versucht die Welt zu verbessern und alle deine Liebsten zu beschützen. Hast du mal gezählt wieviele das eigentlich sind? Du bist nur einer. Einer der an einem Ort sein kann. Und auch deine Multiplikation wird das nicht ändern, sondern nur schlimmer machen.“, er machte wieder einen Schritt zurück in den Spiegel hinein.

Mein Geist war noch nicht bereit sich über Gedankenmagick zu vervielfältigen… hatte Ryuo nicht von mehreren Bewußtseinsebenen gesprochen? Er war ein weiteres Bewußtsein von mir. War das nicht Schizophren? Irgendwie schon. Also… selbst im Geiste würde jeder ein Anderer sein, aber nicht ich? Ich verdrehte meine Augen. Wie war ich nun auf diesen chaotischen Gedanken gekommen? Da wurde einem ja ganz schwindelig. Wo war ich eigentlich stehengeblieben?

Neben dem Drachenkrieger stand eine Gestalt im Spiegel, mit eben solch blauen Augen. kleiner als er. Erinnerungen flackerten durch mich hindurch, aber sie waren zu unsortiert und kurz, als das ich irgendetwas sinnvolles daraus hätte bauen können. Einzig eine aufmunternde, wenn auch schwache weibliche Stimme hallte nach: „Ich liebe dich.“

Die Schuppen fielen von mir ab, als ich das Schmerzen in meinem Herzen spürte, auf das ich eben noch vergeblich gewartet hatte. Der Drachenkrieger vor mir im Spiegel brach zusammen und es blieb nicht weiter als der Duft von Krieg übrig.

Jetzt verstand ich. Es waren zuviele denen ich ein Stück meines Herzens geschenkt hatte. Jeder Teil davon war überlebenswichtig. Jeder Verlust war todbringend. Und ich hatte schon einen Teil verloren mit Blaze. Ich hatte Ronja gehen lassen, doch auch das nagte noch immer irgendwo in mir. Umeko war eigentlich unrettbar tot und Rin….

„Ich kann nicht loslassen.“, es schüttelte mich als mir das Fell wuchs. Zuerst war es Trauer, aber das wandelte sich langsam zu Wut…. und Leidenschaft. Der Drang sich zu Bewegen. Yang. Voller Emotionen und nah an den Menschen. Das, was mich immer wieder straucheln ließ. Was ich immer wieder versuchte zu unterdrücken, um keine Dummheiten zu machen. Dabei war Yang das Symbol des Lebens.

Aber was sollte ich nur tun? Weder Yin noch Yang waren wirklich „richtig“ und den Einklang zwischen beidem würde ich niemals finden. Zu was machte mich das schon?

„Zu einem Menschen.“, ich blickte verwundert in den Spiegel von wo die Stimme kam. Dort standen die vier. Ein Drachenkrieger mit seiner Begleitung und der Tigermönch, ebenfalls mit einer kleineren, wohl weiblichen Begleiterin. Beides war so vertraut und beide Paare gehörten zusammen… aber ich konnte unmöglich beides sein. Ich konnte mich nicht zerreißen! Ja, das war mein Problem. ich war zerrissen. Wie zwischen zwei Stühlen, Himmel und Hölle, Krieg oder Frieden. Wohin gehöre ich, was soll ich tun?

Stand ich wirklich wieder ganz am Anfang?

„Ihr seid keine Anfänger mehr.“, hatte der Mann gesagt, der sich selbst verschätzt hatte und gegen die Geisterabsperrung der Kuei-Jin gekracht war.

Der Tiger streckte mir die Fellbesetzte Hand entgegen, aus dem Spiegel heraus: „Du kannst sie vielleicht nicht alle beschützen. Aber du musst es verdammt nochmal versuchen!“
Der Drache streckte mir die beschuppte Hand entgegen, durch das Spiegelbild hindurch: „Ihre Herzen haben es verdient, ihren eigenen Weg zu wählen – dennoch darfst du sie niemals im Stich lassen.“

Ich ergreife beide Hände, der Drache links, der Tiger rechts. Meine Arme, mein Körper, passt sich jeweils an – sodass ich zweifarbig bin. Mit zwei Kräften. Yin und Yang.

Ich bin eins und doch viele.

Es tut mir leid, wenn ich dein Leben in Gefahr bringe, Anastasia – aber das wird es sowieso immer sein. Ich muss versuchen alle zu retten. Rin, Umeko und dich.

Das habe ich immer getan. Das ist das, was ich immer tun werde. Das ist das einzige was ich kann.

Beschützen.

Published inRollenspiel-Storys

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