Raziel blickte nocheinmal auf die Runenschrift, bevor ihr Blick wieder zu Markus huschte. Irgendwie war sie extrem abgelenkt durch seine Anwesenheit. Doch das war es nicht allein, sie versuchte das Bild vor ihrem geistigen Auge wegzuwischen. Es wollte nur nicht so recht gelingen. Peinlich berührt zog sie sich die Haare ins Gesicht und rutschte zu Muna heran, die gerade den Text in den Händen hielt und deutete auf eines der Schriftzeichen: „Das hier ist das Symbol für Thor, er benutzt nicht ganz die Originalrune um sich von dem Gott Thor abzugrenzen.“
Raziel schloss kurz die Augen, während Muna die Rune verglich und herausschrieb, die Textbausteine zusammenfügte. Raziel biss sich auf die Unterlippe, auch wenn das Bild immer skuriller wurde – oder vielleicht gerade deswegen. Tätowierte Haut und Muskeln im Doppelpack. Raziel schüttelte leicht den Kopf und versuchte sich abermals auf die Schrift zu konzentrieren. Sie legte sich den Finger an den Mund, ehe sie kurz darauf damit auf eine andere Rune deutete: „Hier, das ist eine zusammengesetzte… Morgen und Stern.“ Muna nickte bestätigend, langsam blickte wohl auch sie durch. So schwer schien das gar nicht zu sein.
Raziel hob kurz den Blick wieder zu Markus, um ihn gleich wieder abzuwenden. Er wollte bestimmt nicht wissen, was sie sich gerade vorstellte. Raziel hoffte einfach, dass die anderen Blutsgebundenen nicht auchnoch in ihrer Fantasie hinzukamen. Aber mit Cyril und Michelle konnte sie gerade sowieso nichts anfangen. Raziel wurde es zu warm hier drin, weil sie selbst anfing zu glühen.
„Entschuldigt mich… Menschliche Bedürfnisse… fast vergessen… Ich bin sofort wieder da.“ Raziel war sich sicher, dass Muna den Rest sogar alleine entziffern konnte und wollte aus dem Raum, Richtung Bad. Sie musste hier raus!
Er hatte den Laptop runter gebracht und angeschlossen, doch das war es dann auch, ab dem Punkt war er aus dem Spiel.
Enttäuscht lehnte Markus an der Wand des Raumes und sah den beiden jungen Frauen beim arbeiten zu. Er hatte noch versucht seine Hilfe anzubieten, doch diese war schlagartig von beiden zurückgewiesen worden und auf seine Nachfrage hin ob sie ihn nicht für lernfähig hielten hatten sie geschwiegen und waren seinen Blicken ausgewichen.
Die Nacht hatte irgendwie komisch angefangen. Zuerst das gemeinsame Musikmachen mit Niklas, danach das Gespräch mit Muna, dann Huan…
Sein Blick verfinsterte sich bei diesem Gedanken und er starrte einen Moment lang nur auf den einen Bettpfosten. Doch die beiden nahmen davon sowieso keine Notiz, er schien irgendwie zur Dekoration geworden zu sein. Zu einer ziemlich Dreckigen…
Misstrauisch beäugte Markus seine Hände, an denen die Finger immer noch blutverschmiert waren. Er hatte ganz vergessen, dass sich Vampire so schnell heielten als er auf ihn eingeprügelt hatte, sonst wäre er direkt mit dem Katana beigegangen um ihm etwas ab zu schneiden. Doch so hatte er diesen abartigen Anblick des Verräters auf dem Flur noch ein paar Mal ertragen müssen. Wenn Niklas wieder bei Kräften war…. nein, er konnte es ihm nicht erzählen, Niklas würde Huan vernichten – was nicht sooo schlecht wäre – aber er würde auch mit Spice brechen, wie konnte er auch Verständnis für diese gespaltene Persönlichkeit noch aufbringen.
Die Sache schien noch anzudauern, Raziel warf ihm zwar ab und zu einen Blick zu, doch blieb sie still und forderte ihn nicht auf bei irgendwas zu helfen. Dabei hätte er sich doch gerne eingebracht. Resignierend hob er die Schultern, seufzte und schlurfte auf den Flur und als er seine dreckigen Füße dabei erblickte, entschied er sich duschen zu gehen. Danach könnte er auch noch den Flur sauber machen… er schüttelte entschieden den Kopf. Warum war ihm die Sauberkeit des Kellers auf einmal so wichtig? Hatte Tarot etwas mit seinen Gedanken gemacht? Oder war es weil er selbst darauf stolz war einmal etwas gemacht zu haben was half und nicht mit Zerstörung in Verbindung zu bringen war?
Mit dem Zeigefinger schnippte er gegen die Badezimmertür und sie flog geradezu auf, weshalb er kurzerhand die Finger zwischen Wand und Tür steckte, um dem unausweichlichen Knall entgegen zu wirken. Für einen kleinen Moment verzog er das Gesicht bei dem Schmerz der durch seinen Arm strömte, doch wenn er ehrlich war, so hatte er in den vergangenen Wochen viel Schlimmeres wegstecken müssen, da war das gar nix. Behutsam schloss er die Tür wieder und drehte den Schlüssel im Schloss. Dann überlegte er kurz, ob es sich lohnen würde die Shorts zu waschen, doch er hätte sie ohne Probleme in die Ecke stellen können, so durchtränkt waren sie von Blut und Dreck. Im nächsten Moment stieg er aus den Fetzen der alten Hose und in die Dusche.
Er musste an Raziel denken und das Symbol dass sie auf der Stirn trug. Es war nur ein flüchtiger Eindruck gewesen, vielleicht hieß das, dass es noch nicht richtig ausgeprägt war, aber Fruchtbarkeit? Das bereitete ihm doch ein paar Gedanken, war er doch nicht mehr in der Lage dahingehend etwas zu bewerkstelligen. Aber alleine der Gedanke einen anderen Mann, einen Menschen, an sie zu lassen ließ ihn die Fäuste ballen und für einen Moment wurde das Wasser in seiner fallenden Bewegung merklich langsamer. Dann riss er sich von diesem deprimierenden Gedanken los und alles gehorchte wieder den Gesetzen der Physik. Es war am besten wenn er daran keinen Gedanken verschwenden würde, das trübte nur seine Gedanken.
Für weitere zehn Minuten färbte sich die Dusche dunkelbraun, erst dann war der meiste Schmutz von ihm runter. Zur Feier des Tages benutzte er sogar Shampoo und Duschgel.
Nach fünfzehn Minuten verließ er das Bad wieder und ging ohne Scham in das Zimmer, das er mit Raziel bezogen hatte. Dort durchwühlte er die Schränke auf der Suche nach etwas tragbarem und er fand doch tatsächlich eine Army Hose, der er die Hosenbeine wieder an den Knien abriss bevor er sie anzog und einen Gürtel durch die Schlaufen fedelte, weil sie ihm doch ein Stück zu groß war. Dann fragte er sich, ob er ein Tshirt anziehen sollte, aber das würde den Griff zum Katana deutlich erschweren, weshalb er sich einfach nur ein schwarzes Hemd überwarf und das auch nicht zu knöpfte. An neue Schuhe dachte er schon gar nicht mehr…
Zurück bei den beiden Frauen nahm er wieder seine Position an der Wand ein und außer flüchtigen Blicken bekam er keine Reaktion die zeigte, dass sie seine Ankunft wahrgenommen hatten.
Markus verdrehte die Augen, doch er konnte keiner der beiden böse sein. Er mochte Raziel zwar deutlich mehr als Muna, doch auch mit ihr verband er etwas besonderes und so begnügte er sich damit Dekoration zu sein und den beiden beim arbeiten zuzusehen.
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