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Die letzte Schlacht

Er sah auf zu den Wolken. Feuer – der Himmel brannte. Es war der Schlag der Götter; Hitze, überall diese panischen Schreie. Er rannte, rannte um sein Leben, er wollte leben, seine Frau ein letztes Mal wieder sehen. Es roch nach verbranntem Fleisch, brennende Menschen liefen um ihn herum und er rannte, immer weiter in die Ungewissheit.
Dann sah er ihn, seine Glieder erstarrten – Angst und Bewunderung zugleich überkamen ihn und er wusste, dass dies seine letzte Schlacht gewesen war. Dann kam das Feuer – nach ihm die Dunkelheit…

Schweißgebadet wachte der Söldner aus seinem Albtraum auf. Er konnte noch immer die Hitze auf seiner Haut spüren und meinte, den stechenden Geruch seines eigenen verbrannten Fleisches zu riechen.

Schwer atmend setzte er sich auf, zitternd führte er die Hände an seine Stirn und wischte sich mit dem Handrücken die glänzenden Schweißperlen ab. Es war nur ein Traum, versuchte er sich zu beruhigen, dieser Krieg dauert einfach schon zu lange, es wird Zeit, dass wir endlich siegen. Der Gedanke an einen Sieg war für den jungen Mann der einzige Halt in dieser schweren Zeit gewesen. Seit Monaten folgten sie ihrem Kommandanten von der einen in die nächste Schlacht.

Sie waren die Letzten, die Einzigen die noch für die Freiheit der Menschen kämpften.

„Mafariel! Mafariel erheb dich! Wir ziehen weiter!“

Mafariel fuhr zusammen, er war so in seine Gedanken und Erinnerungen an die letzten Monate vertieft gewesen, dass er nicht gemerkt hatte, wie einer der Ritter – deren Befehl er unterstand – zu ihm getreten war.

„Los steh auf, der Kommandant will noch vor Sonnenaufgang die Ebenen von Gandalon verlassen haben. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.“

Nickend sah Mafariel zu dem Ritter auf. Das lange braune Haar des Mannes hing matt und verfilzt über seine Schultern und die grünen Augen waren müde.

Sie alle waren müde. Seit einem Monat reisten sie über die Hügel und Wiesen Gandalons, immer auf der Suche nach Ihnen – dabei wussten sie nicht einmal, nach wem sie suchten. „Sie sind der Feind, den wir zu bekämpfen haben!“, das war alles, was der Kommandant antwortete, auf die Fragen der Ritter, wenn es wieder einmal hieß, hier wären sie nicht.

Schwerfällig versuchte Mafariel aufzustehen, seine Knochen fühlten sich schwerer an und seine Beine gaben unter seinem Gewicht nach. Er hatte keine Kraft mehr, um noch eine weitere Schlacht gegen diese dreckigen Buras zu führen. Zwar waren die Buras es, die als Armeen der dunklen Engel in die freie Welt geschickt worden waren, um dem Erzengel Feraziel die Herrschaft über den ganzen Norden Tierranas zu ermöglichen; aber sie waren auch nur Werkzeuge. So wie Mafariel selbst – so kam es ihm zumindest vor.

Noch immer floss Blut aus den Wunden der vergangenen Nacht, in der sie ein Lager der Buras angegriffen hatten. Es ging recht schnell vonstatten, der Kommandant hatte schon während sie den Spuren gefolgt waren, seine Pläne für den Angriff geschmiedet und Mafariel selbst hatte es nur mit ungefähr zehn dieser abscheulichen Echsenmenschen zu tun bekommen. Aber er hatte sie unterschätzt; und vor allem hatte der Kommandant die Söldner überschätzt. Gerade zwanzig Mann waren sie, die vor einem halben Jahr an der Westküste von den Rittern der nördlichen Königreiche angeheuert wurden. Und zwanzig Mann sollten sich letzte Nacht vorarbeiten, den Rittern den Weg ebnen. Wir sind nur die Tagelöhner der Ritter, ich frage mich jedoch, wie weit der Kommandant ohne uns gekommen wäre…

Mit einem kräftigen Ruck, in den er seine restliche Kraft setzte, stieß sich Mafariel mit den Beinen vom Boden ab und kam zum Stehen. Etwas wackelig ging er ein paar Schritte und versuchte einen freien Kopf zu bekommen, während das Lager um ihn herum bereits in reger Aufbruchstimmung war.

Zögerlich griff der Söldner nach seinem Beutel, er sträubte sich dagegen, wieder aufzubrechen; denn der Beutel war zu leicht, es war kein Essen mehr darinnen. Es war gut vier oder fünf Tage her, als die letzten Rationen der Söldner aufgeteilt worden waren und Mafariel hatte auf einen großen Teil seines Essens verzichtet, um den jüngeren Söldnern davon abzugeben. Er selbst brauchte nicht soviel, so dachte er. Aber jetzt, wo ihn der Hunger plagte und die Strapazen der langen Reise sich doch bemerkbar machten, hätte er sich selbst dafür verfluchen können.

Langsam legte er den Schwertgürtel an, die alte rissige Klinge schlug ein paar Mal gegen sein Bein. Mafariel wusste, dass mit dieser Waffe kein Kampf mehr zu gewinnen war, dieses Schwert hatte das letzte Herz eines Buras durchbohrt. Dann brachen sie auf.

Für Mafariel war es klar, dass es wieder viele Tage dauern sollte, bis es zu einer Schlacht käme und vorher gab es auch nichts zu essen. Nur das Plündern der Buraslager versprach Nahrung und neue Waffen. Manchmal fragte sich Mafariel, warum er Söldner wurde – was ihn dazu trieb, für Geld zu töten.

War es, weil er sich dazu verpflichtet sah, seinen Teil für den Frieden zu leisten? Nun, dies schien unsinnig, Krieg konnte niemals den Frieden unterstützen.

War er jemand, der unruhig auf seinem heimischen Sessel sitzen würde und von der weiten Welt träumen, wenn er nicht auf Reisen war? Er hatte schon genug gesehen, keine Welt gab es zweimal zu entdecken. Es war das Geld. Nur das abscheuliche Geld, ohne das er aber seine Familie nicht ernähren konnte.

Seine Familie, Mafariel dachte an seine Frau Adera und seine beiden Söhne. Er fragte sich, wie groß sie wohl schon geworden waren. Ob sie bereits mit der Arbeit im Wirtshaus begonnen hatten? Ob er sie jemals wieder sehen würde? Tief in Gedanken versunken ging Mafariel stur geradeaus im Glauben, den Rittern zu folgen, dabei bemerkte er nicht, dass der Trupp zum Stehen gekommen war.

Klirrend stießen zwei Ritter zusammen, als Mafariel einen von ihnen beinahe überrannt hätte, und der Kommandant warf dem Söldner giftige Blicke zu. Schnell sah sich Mafariel um, die Ritter und Söldner waren zum größten Teil hinter einer kleinen Anhöhe in Deckung gegangen Zwei Söldner pirschten sich durch das Gras am Hügel vorbei. Anscheinend waren sie fündig geworden.

„Psst, Mafariel…“, der Söldner ignorierte es, als Opeg ihn ansprach. „Hey! Engelstöter!“, zischte es.

Dies Wort aus dem Mund dieses Wahnsinnigen zu hören, war entwürdigend für den Anführer der Söldner. Er wandte sich Opeg zu und sah den jungen, kräftigen Mann an, der ihm grinsend entgegen blickte. Die Rüstung in der er steckte wirkte mehr schlecht als recht wie eine der Ritterrüstungen. Er nahm sie einem Buras ab, nachdem er ihn niedergestreckt hatte. Vorher musste sie einem Ritter der ersten Einheiten gehört haben, die schon vor einigen Monaten über das Meer hierher gekommen waren. Er wurde zum Mahl für diese barbarischen Echsenmenschen.

Opeg allerdings liebte diese Rüstung, für ihn war sie ein Symbol dafür, dass er den anderen Söldnern überlegen war. Sicher, er war ein guter Kämpfer und viele seiner Taten wurden als wagemutig und tollkühn angesehen. Doch Mafariel erkannte in dem Mann aus der Eiswüste, weit im Süden der dunklen Lande, nur einen verrückten Schwindler, der nur aufgrund seiner Phantasie und seiner Erzählkunst zu einem Helden avancierte.

Dazu kam noch, das Opeg gerne als Erster in ein Lager des Feindes rannte. Sicher, der Moment der Überraschung war ein Vorteil, nicht selten fielen vier oder fünf Echsenmenschen durch das Schwert des jungen Söldners, bis die restlichen sich der Situation bewusst wurden und ihn angriffen; dennoch, Opeg war wahnsinnig und Mafariel traute ihm nicht. Irgendetwas in den braunen Augen des Mannes gab Mafariel das Gefühl, dass er ihm noch gefährlich werden würde.

Eines allerdings schätzte Mafariel an dem jungen Mann. Er war seinem Geldgeber stets loyal.
Selbst als der Kommandant ihn selbst an die Spitze des Trupps setzte, zusammen mit seiner Schwester, der einzigen Frau unter den Söldnern, nahm er dies ohne sich zu beklagen hin; und er erledigte seine Aufgabe gut.

„Nenne mich noch einmal so und du wirst spüren, wie es sich anfühlt, wenn stumpfer Stahl deinen Körper zu durchbohren versucht…“ grummelte Mafariel und sah Opeg voller Zorn entgegen. Dieser grinste stumpf weiter. „Aber aber, dein Ruf ist deine Lebensversicherung, Mafariel. Würde dich nicht jeder hier für den halten, der vor vielen Jahren die Bastion der Marvenier im Alleingang überrannte und es dabei schaffte, einen der dunklen Engel um seine schwarzen Flügel zu bringen, wärest du heute nicht der Anführer der Söldner in dieser Kompanie…“

„Was geht da vorne vor sich?“, Mafariel hasste es, wenn diese alte Geschichte angesprochen wurde; er wollte nicht darüber reden, sich nicht mehr daran erinnern.

Der Krieg um Marven lag lange Zeit zurück und niemals sollte jemand erfahren, was damals wirklich geschah. Manchmal, wenn der Söldner von der Küste am Pass von Inhet, auf das offene Meer hinaus starrte und in Erinnerungen schwelgte, spürte er sie wieder, die alten Wunden. Als Marven unterging verlor er seine erste Frau und seine einzige Tochter.

Jenes Ereignis damals machte aus ihm einen unberechenbaren Barbaren – und ja, er hatte sie alle getötet, nur um welchen Preis, das würde Opeg nie erfahren.

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Published inGarten der Engel

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