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Grant: I’m on the highway to hell II

Mit dem Umschwung in die fröhlichere, abgehobene Stimmung, welche der Realität nun wieder sehr fern war, bekam Grant ein seltsames, erst unbeschreibliches Gefühl. Er blinzelte ein paar Mal und sein Blick wurde glasig, weil er versuchte dieses Gefühl einzuordnen. Da er direkt dachte, dass es was körperliches war, fasste er sich stabilisierend auf die Oberschenkel, falls ihm gleich übel werden sollte.
Möglicherweise war es auch das bunte Bühnenbild, welches von den Artisten präsentiert wurde. Schillernde, sich drehende Formen in heller Farbenpracht und ekstatische Bewegungen, die eher an zu hohen Drogenkonsum erinnerten. Außerdem schwebte alles irgendwie nach oben. Etwas in Grants Geist zerbrach, plötzlich, scharf, ein Strahl jenseits der Wahrnehmung, bewusster oder bloßer Körperlichkeit. Ein Konflikt von Schweigen und Empfindung verschmolz zu etwas, das er nicht erklären, nicht verhindern, nicht kontrollieren konnte. Seine Kinnlade fiel für einen Moment herab, während er einfach nur ausdruckslos auf das Schauspiel starrte. Erst, als ihm fast die Spucke aus dem Mund lief, fing er sich wieder und begann, sich mit beiden Händen über das Gesicht zu reiben, in der Hoffnung „wieder klar zu kommen“.

Seine Sinne dehnten sich aus, umschlossen die Artisten, das Publikum, das Zirkuszelt, einfach alles, spürten, wie jede Kontur der Wirklichkeit ihn begrüßte, als hätte er zuvor nie etwas vom Wechselspiel des Lebens gewusst, als hätte er zuvor nie etwas wirklich so gesehen, wie es war. Und als die Musik abebbte, wurde sie durch ein geistiges Bewusstsein ersetzt, welches anhielt, auch als alles normal weiter zu laufen schien. Die Geschichte des Zirkus ging weiter, aber die Clowns waren nicht das, was Grants Aufmerksamkeit einfing. Es war vielmehr dieses seltsame Gefühl, welches sich nun besser einordnen ließ: Göttliche Macht, gefangen in einem ach so menschlichen Körper. Das Reiben brachte einfach mal gar nichts, weshalb sein Mund ohne richtige Kontrolle „…Toilewasser… wieda“ ausspuckte und er sich ungelenk aufrichtete, kurz wankte und dann in einen ziellosen Laufschritt verfiel, auf der Suche nach einer Toilette, in der er einfach nur den Kopf unter fließendes Wasser halten konnte.

Sogar das Wasser fühlte sich irgendwie anders an, erfrischender, lebendiger. Es war die absolute Genugtuung. Grant fühlte sich erneuert, als hätte ihm immer etwas gefehlt und er wusste es erst jetzt, als er es hatte. Als wäre er aus einem Traum erwacht und stünde erst jetzt in der Wirklichkeit. Seine Hände zitterten, sein ganzer Körper zitterte, als er sich an den Rändern des Waschbeckens festhielt und das Wasser langsam von seiner Nase tropfte. Das, das in seinen Mund rann, schmeckte so anders als vorher, und obwohl er sich brüsten konnte jeden Geschmack einzuordnen, war es als hätte er sowas noch nie gekostet. Langsam kehrte Ruhe in ihn ein, wie Meer, das sich nach einem Sturm wieder glättete und er schaute in den Spiegel, sah sich selbst an.
Das Gespür für Leben hatte sich verändert. Es war klarer, die alte Welt wie er sie kannte war nur ein blasses Abbild von der _Wirklichkeit_, die im Vergleich beinahe farbenfroh schillerte – so wie das Bühnenbild eben. Die Musik der Show drang dumpf durch die Wände. Auch sie waren klarer als früher, aber momentan nicht von belang. Eine Ecke des Spiegels war mit einem Riss versehen, welcher so klein und unscheinbar war – aber Grant fiel dieser sofort ins Auge. Denn es war wie der Riss der Wirklichkeit. Magie existierte, man musste sich nur umsehen. Das Gesetz des Kreislaufes, ein Teil davon war der Zerfall. Dieser Spiegel war Teil davon, das Leben war Teil davon und die pure Kraft, welche das Atmen auslöste, war Teil davon. Grant konnte all dies nun wahrnehmen und irgendwo fühlte sein neues Bewusstsein auch, dass diese Dinge veränderbar waren. Alles war auf einmal faszinierender geworden. Als er sein Gesicht ansah, hatte er für einen Moment das Gefühl, als könnte er unter die Haut sehen, sah Blutströme, die die Zirkulation ausmachten und sah ein Blitzlichtgewitter von Wahrnehmungen in seinem eigenen Gehirn. Doch der Eindruck verschwand so schnell wie er gekommen war und sein Blick richtete sich auf den Riss im Spiegel. Es war eine relative Zerstörung, in seinen Augen musste das nicht sein. Und wie mit der Neugier eines Kindes streckte Grant seine immer noch nasse rechte Hand aus und rieb mit dem Daumen über den Riss, in dem Bewusstsein in wie Schmutz wegwischen zu können.

Dieses neue Bewusstsein regte sich und es wirkte wie eine uralte wilde Bestie, die nur nicht ausbrechen konnte, weil Grants Geist ein Gefängnis war, durch das nur ein ganz kleiner Spalt einen Blick hinein zuließ. Der Riss blieb, aber irgendwie wusste Grant, dass er sich nicht so bald vergrößern würde. Dieses Bewusstsein – oder er? – hatte den Fluss des Kreislaufs für diesen Riss gedehnt, seine Zeit würde kommen, aber nicht so bald. Die Entropie dieses Spiegels wurde verändert, aber sie würde ihren Weg finden, irgendwann. Zeit oder Raum waren davon völlig unabhängig. Dafür machte sich das neue Bewusstsein, diese Macht, dieser noch undefinierte Seinszustand nun bemerkbarer. Es gab sich selbst eine Form, tief im Innersten von Grants Geist. Auch wenn es noch keine Worte gab, die dieses Bewusstsein benannten, so war es definitiv ein Teil von Grant und überstieg seiner Kontrollmöglichkeiten noch hatte er eine Ahnung von seinem potential. Aber er wusste, dieses Bewusstsein war die Quelle seiner neuen Erkenntnisse. Ein wiedergefundener Teil seines Selbst, seines Egos. Und es beobachtete ihn. Gab sich selbst eine Stimme in seinem Kopf. „Endlich. Der erste Schritt, um zu dem zu werden, was wir einst waren.“

Das war doch alles nur eine Fehlkonstruktion seines Kopfes, er musste einen Tumor haben oder sowas in der Art, waren Grants erste Gedanken, als diese neue Stimme durch seinen Kopf hallte. „Scheisse, und das ohne jedes Anzeichen.“ Mit seiner Faust massierte er seine Stirn, eine Geste der Hilflosigkeit.

Die Umgebung veränderte sich, doch Grant war sich fast sicher, dass er sich nicht vom Fleck rührte. Alles um ihn herum entsprang seinem Geist, der Landschaft des neuen Bewusstseins. Es war ein aufgeräumter Platz inmitten eines tiefen Urwaldes. Alles, an das Grant sich klammern konnte war auf dieser Lichtung. Es war nicht sichtbar wie groß die Wildnis um diesen Platz herum zu sein schien, aber es wirkte riesig.

„Woh woh woh, nicht alles auf einmal,“ sein aktives Bewusstsein erwartete jeden Moment zusammen zu brechen oder eine Übelkeit kommen zu sehen, doch sein Unterbewusstsein schien keinerlei solche Signale auszustoßen. Doch die Veränderung war nicht weg zu wischen, er stand auf einmal in einem Wald. Unsicher hielt er sich weiter am Waschbecken fest, während er sich hinunter beugte und mit der anderen Hand über den Boden wischte. Er spürte tatsächlich feuchte Erde und Moos.

Bei genauerer Betrachtung war hinter den Lianen, Mammutbäumen und exotischem Buschwerk eine Landschaft aus Fels. Ein uralter Berg oder ein Jahrtausend altes Riff bloß ohne Meer dazu. so genau war es nicht ein zu ordnen, aber es war das Bollwerk dieses neuen Bewusstseins, welches kein Hinein – oder Herauskommen möglich machte. Irgendwo war allerdings der Spalt, den Grant schon vorher gespürt hatte, jetzt konnte er ihn sehen – und ein Augenpaar blickte zurück. Auf der anderen Seite des Gesteins und doch so nah, in seinem eigenen Geiste.

Langsam, sehr langsam und vorsichtig ließ Grant das Waschbecken los. Und eher unerwartet stürzte er nicht weiter hinab in seine eigene Geistesgestörtheit. Das gab wenigstens für den Moment Sicherheit und er fing an die Strecke zu dem massiv zurück zu legen. Seine Augen lagen die ganze Zeit auf seinem Ziel, denn er fürchtete, wenn er sie schloss würde alles was er sah zusammenstürzen. Die Lianen beiseite schiebend fand er sich plötzlich direkt vor dem Bollwerk wieder, als hätte er in Windeseile diese gesamte Strecke zurück gelegt. Der Stein war kalt als er ihn berührte, fast wie erwartet. Und der Spalt war dunkel, fast schwarz, die Augen, die ihn beobachteten immer noch nicht auszumachen.

Von irgendwoher schien Licht zu kommen, umso näher Grant dem Gestein kam, umso eher verstand er, dass alles in seiner direkten Umgebung erhellt wurde. Alles von dem er sich entfernte verschwamm in der dumpfen Dunkelheit des Unterbewusstseins. Dadurch wirkte alles irgendwie wie ein Traum, aber einer den man wirklich fühlen und anfassen konnte. Das war kein Traum, nur ein Rückzugsort seines Geistes, den er vorher nie erkannt hatte. Nur die Höhle hinter dem Spalt blieb dunkel, obwohl das Gestein so gut erhellt war, dass Grant jede Maserung, jede Unebenheit so gut sehen konnte, dass sie ihn fast ansprang. Etwas von dem Grünzeug aus dem Urwald schien bereits in den Spalt, welcher etwa Armdick war, hineingewachsen zu sein und es roch hier noch stärker nach Moos.

Ein Stück weit schob er sich in den Spalt hinein, doch nur so weit, wie auch das Moos bereits gewachsen war. Dann sprach er in die Dunkelheit hinein: „Hallo?“, und kam sich dabei reichlich blöd vor.

Die Höhle echote seine Frage zurück und es war, als wäre hier noch viel Platz, obwohl der Eingang so schmal war. Langsam kroch das Licht hinein und beschien alte Wurzeln, die aus der Decke ragten. Das Innere der Höhle war eine Sammlung aus vor leben pulsierenden, hölzernen Strängen, die sich in der Mitte verdichteten. Fernab dessen lag Dunkelheit, die auch Grants Anwesenheit nicht zu erhellen vermochte. Das Gesicht, welches sich nun ihm zuwandte war nur eines von vielen Abbildern des neuen Bewusstseins. Es hätte genau so gut wie Grant selbst aussehen können, doch irgendetwas in seinem Geiste ließ es eben jene Gestalt annehmen, um sich selbst nicht noch mehr zu verwirren.

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Published inRollenspiel-Storys

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