Mittwoch:
Peter, ihr Agent hatte angerufen – Er hatte für sie eine Studioproduktion bei Krüger & Krüger in Hamburg aufgetan. Sie sollte die Drumlines für einen Fernsehfilm einspielen. Sie hörte ihm wie immer ruhig zu. Er überschlug sie regelrecht, es wäre für sie eine große Chance – die würden immer feste Leute brauchen. Innerlich war sich Muna sicher, dass es ihm wie immer nur um seine Prozente ging.
Schließlich bestätigte sie den Termin – nächsten Montag in Hamburg, mal wieder eine Finanzspritze würde ihr guttun, vor allem in dieser Scheißjahreszeit. Sie legte auf.
Dann überlegte sie, machte sich auf zum nächsten Internet-Cafe und gab die Daten in die Suchmaschine ein. Google spuckte ihr auch gleich Daten zu diesem Studio aus.
Kurz überflog sie die Seiten. Seit fast 10 Jahren schon im Geschäft. Keine reine Musikproduktion wie sie sie bisher gemacht hatte. Das Thema begann sie zu interessieren.
Als nächstes rief sie die nötige Route nach Hamburg ab. 700 Kilometer, bei Temperaturen um die Null. Wenigstens sollte es die nächsten Tage trocken bleiben.
Hoffentlich würde ihre Enduro diese Plackerei noch aushalten. Kurz spielte sie mit dem Gedanken sich doch noch ein Auto zu besorgen, doch dann verwarf sie das wieder – die Gefahr wäre zu groß, dass sie mit einem Auto den Bullen ins Netz gehen würde. Die Enduro war wendig und geländegänig um jederzeit den Schnittlauch auszutricksen und nicht ohne Führerschein erwischt zu werden.
700 Kilometer – so hoch in den Norden war sie noch nie gefahren. Sie beschloss die Strecke auf zwei Tage aufzuteilen und dann das Wochenende zu nutzen sich Hamburg anzusehen.
Dann schrieb sie eine Message an ihren Ex-Freund, jenen, bei welchem sie die ersten anderthalb Jahre verbracht hatte, jenen der ihr so viel beigebracht hatte. Lächelnd dachte sie kurz an die Sessions auf der Schießbahn und die wilden Rennen quer durchs Gelände.
Sie hatte Glück, er war online. Nach etwas geplänkel und eindeutigen Avancen seinerseits, kam sie zum Kern – und fragte ihn nach den Szenepunkten in Hamburg aus.
Roger, der sie zwar gern wiedergehabt hätte, aber auch akzeptieren konnte, dass sie das Bedürfniss gehabt hatte, aus seinem Schatten zu treten, versorgte sie mit dem nötigen Input.
Für sie wäre der beste Anlaufpunkt wohl die Disko Black Rose. Sie bedankte sich und versprach ihm, vorbei zu kommen, wenn sie in der Nähe wäre und beendete den Kontakt.
Heute war es zu spät um aufzubrechen – daher rief sie bei dem Kerl an, der ihr in den letzten Tagen Unterschlupf gewährt hatte und traf sich wieder mit ihm.
Donnerstag:
Sie hatte sich in alle Klamotten gehüllt, die sie unter die Schlechtwetterkombi packen konnte und tuckerte die Landstraße entlang. Man, hatte sich der Typ aufgeführt, als sie ihm heute morgen eröffnet hatte, dass sie weiterziehen würde. Hatte etwas von Schulden gefaselt. Als ob sie ihm die Unterkunft und das bisschen Essen nicht mit einigem Einsatz zurückgezahlt hätte. Sollte er doch erstmal versuchen von seinen Schikimiki-Girls das zu kriegen. Aber was solls, als er versucht hatte sie aufzuhalten, hatte sie ihn herankommen lassen und ihm dann das Knie dahin gerammt, wos wirklich weh tat. er konnte also garnicht anders als sie ziehen lassen.
Trotz den dicken Schichten fror sie erbärmlich. Alle Stunde hielt sie irgendwo an um einen heißen Kaffee zu trinken.
Am Mittag hatte sie Glück. In der Fernfahrerkneipe, in der sie eine Rast einlegte, erbot sich einer der Fahrer sie mit ihrer Maschine mitzunehmen, da er eh gerade eine Leerfahrt hatte. Da er auch nicht dem üblichen fetten Trucker entsprach, willigte sie ein. Immerhin kam sie so warm bis nach Hannover, wo sie auch schon jemand im Auge hatte, bei dem sie übernachten können würde.
Dann überraschte der Trucker sie auch noch, in dem er nicht auf die typische Belohnung aus war sondern sie wirklich nur aus reiner Herzensgüte mitgenommen hatte.
Sascha, war happy, als sie bei ihm klingelte und es wurde eine lange Nacht.
Freitag:
Sie war erst spät am Nachmittag weitergekommen und hatte in aller Eile die Strecke bis Hamburg noch unter die Reifen genommen. Sie hatte wieder Glück, diesmal war es nicht ganz so kalt wie am Vortag. Doch trotzdem kam sie total durchgefroren zur Dämmerung am Bahnhof in Hamburg an. Telefonisch hatte sie erfahren, dass die Jugendherberge ausgebucht war und kein Bett für sie hatte – schöne Scheiße.
Sie steuerte den großen Fast-Food-Tempel mit dem M an und verschanzte sich dort erstmal in der Toilette. Zu ihrem Glück gab es dort sogar warmes Wasser, sodass sie sich gründlich waschen, neu schminken und umziehen konnte. Sie wählte ihre „Jagdkleidung“ – eine enge scharze Cargohose mit der geilen Lederkorsage als Oberteil. Darüber würde sie die schwarze Daunenjacke packen. Prüfend musterte sie sich im Spiegel und benutzte dann noch weißen Puder, um ihr Dekolte, die Schultern und die Arme zu bleichen. Dann war sie zufrieden. Einzig ihre Augen strahlten farbig an ihr – und wurden durch das bleiche Makeup und die übermässige Schwarze Schminke um die Augen betont.
Dann warf sie draussen einen Bigmac und Kaffee ein und suchte dann ein Schließfach, das für ihren Rucksack, die Becken und die Snare genügend groß war und schloss alles weg. Sie schaute auf die Uhr. Grad mal sieben – viel zu früh um diese Disse anzusteuern. Sie entschloss sich noch was durch die Stadt zu latschen.
Zu ihrem Glück fand sie noch einen Musikalenhandel – und der hatte etwas im Fenster liegen, auf das sie schon lange scharf war. – schwarze Drumsticks. Ohne nachzudenken ging sie rein und kaufte sich ein paar davon und steckte sie in die Beintasche ihrer Hose.
Gegen neun kam sie wieder zum Bahnhof, schwang sich auf ihre Maschine und fuhr hinüber zu der Diskothek.
Sascha hatte Recht gehabt – genau ihr Ding – vom Grundsatz her. Aber irgendwie waren die Hamburger wohl anders drauf. Obwohl dies eindeutig ein Goth und Metallschuppen war, tummelten sich hier auch Gören Marke Ami-Chearleader. Und zu ihrem Pech waren nur Gruppen unterwegs.
Sie besorgte sich einen Kakao-Baileys und setzte sich auf eins der Sofas um weiter zu beobachten.
Eine Stunde später, wurde sie endlich fündig. An der Bar stand ein Kerl. Schwarz gekleidet, bleich geschminkt und mit einem großen umgedrehten Kreuz um den Hals.
Sie fasste ihn fest in ihren Blick – wohlwissend, dass er sich irgendwann beobachtet fühlen und sie dann bemerken würde.
Ihr Plan ging perfekt auf – binnen kurzer Zeit hatte sie ihn durch Körpersprache und Blicke zu sich auf das Sofa gelockt und man unterhielt sich prächtig.
Er hieß Lorenzo, war Sänger und hatte in der Tat eine eigene Bude.
Das Gespräch mit ihm machte Laune – er verstand es wie sie eindeutig zweideutiges in harmlose Gespräche zu verpacken.
Ihr wurde es warm und sie verspürte ein sehr seltenes Gefühl – ein eindeutiges Prickeln im Unterleib.
Sie kamen sich immer näher und schließlich küsste er sie – sie erwiderte den Kuss hungrig und mit einem eindeutigen Knabbern an seiner Unterlippe.
Sie spürte, dass ihr die Kontrolle zu entgleiten drohte und sie gefahr lief, ihn hier, mitten in der Disco die Klamotten vom Leib zu reißen. Sich von ihm lösend bat sie darum die Lokation zu wechslen. Er nickte mit einem wissenden, fast überheblichen Lächeln und sie gingen.
Mona ließ ihre Maschine an der Disco stehen und folgte ihm durch die kalte Nacht, sich etwas darüber wundernd, dass er keinerlei Jacke mithatte und trotzdem in dem T-Shirt nicht zu frieren schien.
Er fuhr sie in seinem schwarzen Golf zu einem Haus in der Nähe und führte sie in eine Wohnung über einem Restaurant.
Das Ein-Zimmer-Appartment war aufgeräumt – zu aufgeräumt nach ihrem Geschmack – und sehr kalt. Lorenzo begann die Heizkörper aufzudrehen. Muna vermutete langsam, dass er wohl doch fest vergeben wäre und dies nur eine Ausweichgelegenheit für kleinere Abenteuer wäre – aber es tangierte sie nicht. Sie fühlte sich auf eine ihr unerklärliche Art zu ihm hingezogen – aber nicht in Liebe sondern nur durch den reinen Trieb.
Es kam wie es kommen musste – binnen kürzester Zeit lag man sich in den Armen und küsste sich heiß und wild. Einer inneren Eingebung folgend bog sie den Kopf weit zurück und etwas zur Seite, streckte dadurch die Seite ihres schlanken Halses durch. Er strich ihr die Haare zurück und dehnte seine Küsse auf ihren Hals aus, begann sie spielerisch zu beißen und auszutesten, wie weit er gehen könnte.
Sein Griff um sie wurde fester und plötzlich spürte sie ein brennendes Gefühl, als würden ihr glühende Nägel in den Hals getrieben. Sie stöhnte vor Schmerz auf, instinktiv versuchte sie ihn von sich wegzudrücken, doch sie hatte gegen den kräftigen Griff keine Chance. Sie spürte, wie ihr Blut aus ihrem Hals pulsierte und er es gierig aufnahm. Als sie versuchte ihn mit dem Kopf von ihrem Hals wegzubekommen, griff er mit einer Hand nach ihrem Kinn und zwang ihren Kopf wieder zurück. Immer gieriger wurde sein Sog an ihr. Sie verkrallte ihre Nägel in seinen Rücken – was ihn auch nicht störe, ehr noch mehr anturnte.
Dann stand plötzlich ein Bild in ihrem Kopf. Dero, der ihr letztes Jahr einen Songtext vorgelesen hatte, einen Song, der in kürze veröffentlicht werden sollte und für den sie vielleicht dieses Pfingsten sich an die Drums hätte setzen können.
Dein Herz in meiner Hand – dein Blut auf meiner Haut
Du schaust in mein Gesicht – doch du siehst mich nicht
Die Hände fest am Hals – die Nägel tief im Fleisch
Ich flüster dir ins Ohr – doch du hörst mich nicht.
Hörst du die Engel singen?
Spürst du die sanften Schwingen?
Hat sich das Warten nicht gelohnt?
Spürst du die Wärme kommen?
Hast du den Berg erklommen?
Siehst du das weiße Licht?
Hörst du die Engel singen?
Hörst du die Harfen klingen?
Hat sich das leiden nicht gelohnt?
Spürst du die wärme kommen?
Hast du den Berg erklommen?
Siehst du den Himmel nicht?
Fütter das weiße Licht für mich
Plötzlich verstand sie den Text – und nahm ihn innerlich an. Immer noch vor Schmerz stöhnend wurde sie weich in seinem Arm und ließ ihn gewähren.
Das Bild vor ihrem Auge wechselte – sie stand am Ufer des Genfer Sees in Montraux und blickt auf die Statue des Mannes, der ihr soviel im Leben bedeutet hatte.
schon halb im Delierium vernahm sie Geräusche. Ein dumpfes Poltern, dann Schüsse. Ein schweres Gewicht drückte ihr die letzte Luft aus den Lungen.
Sie spürte tastende Hände auf sich, an ihrem Hals, Druck auf die pulsierende Wunde und öffnete träge die Augen.
Sie blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der sie besorgt ansah.
Flatternd fielen ihr die Augen wieder zu und gnädiges Dunkel umhüllte sie – keine Spur von einem weißen Licht wie sie im letzten Moment noch dachte.
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