Die Sonne war bereits seit einiger Zeit untergegangen, als Dehdeh sich von ihrer Lehmfigur zurücklehnte und diese betrachtete. Sie hatte fast den ganzen Tag an diesem Stück gearbeitet. Auch, wenn es seine wahre Schönheit erst viel Später entfalten würde, nämlich in dem Moment in dem sie verging. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der jungen blonden Frau, welche sich eine Strähne aus dem Gesicht wischte und dann einmal kurz über die Skulptur strich, welche ein Schnauben ausstieß und sie mit dem Schnabel berührte. Der Vogel war ihr perfekt gelungen, auch wenn sie nun keinerlei Lehm mehr hatte. Sie musste sich also Neuen besorgen und sie wusste auch schon wo sie diesen finden würde. Eine weitere Berührung des großen weißen Vogels lies diesen auf die Größe einer Taube schrumpfen und erstarren. Die Magi hob ihn auf und stellte ihn auf den Töpfertisch, bevor sie ihren Mantel überwarf und mit dem Vogel in der Hand die Villa verließ. Draußen war inzwischen der Mond aufgegangen, welcher noch fast voll war. Er lies das Funkeln der Sterne in den Hintergrund treten und präsentierte sich als dominantes Himmelelement. Es würde ein schöner Flug werden, denn es wehte nur eine leichte Brise. Sorgsam positionierte Dehdeh die kleine Vogelfigur vor sich auf der Erde und streckte Zeige- und Mittelfinger in die Höhe, woraufhin die geschrumpfte Figur begann zu wachsen. Nachdem der Adler voll ausgewachsen war ging sein Kopf ihr bis zu den Schultern und mit einem eleganten Satz landeten ihre Füße auf dem Rücken des Lehmvogels, der augenblicklich mit den Flügeln zu schlagen begann und sich in die Lüfte erhob. Schnell und zielgerichtet schraubte er sich in die Höhe und schon bald lag ganz Berlin unter ihren Augen ausgebreitet da. Die Lichter der Stadt funkelten, wie die Sterne am Himmel, nur das es hier keinen Mond gab der den Glanz überdeckte. Mit einem Lachen legte sich der Adler unter ihr in die Kurve und sie schoss durch die warme Nachtluft.
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Die Lichter waren wieder angegangen. Wieso? Raphael verstand es nicht. Er hatte dem Wächter gesagt er sollte den Strom abstellen. Es hatte auch kurzzeitig funktioniert. Es waren etwa zwanzig Minuten gewesen, die die drei Frauen Zeit hatten hier einzudringen. Er hoffte das sie es geschafft hatten. Nachdem er ihnen die Möglichkeit gegeben hatte die sie brauchten hatte ihn irgendetwas hatte ihn in diesen abgelegenen Saal des Museums geführt. Was wusste er noch nicht aber hier waren erste Erkenntnisse der Medizin ausgestellt. Schriftstücke, Gerätschaften und aus dem frühen 18. Jahrhundert. Seine lautlosen Schritte führten ihn schließlich zu einer Vitrine im hintersten Winkel des Ausstellungssaales. Hier war nur ein Buch ausgestellt. „Göttliche Erkenntnis“ war der Titel. Dieses Buch zog ihn magisch an. Seine feingliedrige Hand legte sich auf die kalte gläserne Oberfläche. Raphael schloss die roten Augen und horchte. Es war nichts zu hören. Nur das atmen eines Wachmannes, der bei einem Blick in seine Augen kollabiert war. Er würde wieder erwachen, daher machte er sich um ihn keine Sorgen. Aber musste an dieses Buch herankommen. Der Druck seiner Hand verstärkte sich und ein leises Knacken kam von der Vitrine. Mit vernehmbaren Splittern barst die Scheibe und Raphaels Hand stieß zu dem kleinen in Leder gebundenen Notizbuch vor. Als sich seine Hand um das beinahe Steinharte Leder schloss öffnete sich eine weitere Tür in seinem Geist. Nur einen Spalt aber er sah hindurch.
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Die blasse Hand führte eine schwarze Feder über Papier. Die Striche die sie hinterließen bildeten Buchstaben und Zahlen. Wörter, Sätze, einen Sinn. Das leise kratzen der Feder auf dem Papier war ungewöhnlich laut und doch war es das einzige Geräusch in der nur von Kerzen erhellten Kammer. Vor dem Fenster war ebenfalls nichts zu hören. Immer nur das kratzen der Feder auf Papier. Er versuchte die Sätze zu lesen, die seine eigene Hand – war es seine? – zu Papier brachte, aber der Blick den er sah war zu unstet. Es war ihm nicht möglich ein Muster oder einen Sinn in die Buchstaben und Zahlen zu bringen, die Wörter welche auf Papier gebannt wurden ergaben einen Sinn das wusste er. Nur nicht welchen. Dann drehte sich der Kopf. Das Dokument entschwand aus seinem Sichtfeld. Nun blickte der Schreiber in das Gesicht eines jungen Mannes. Seine roten Augen waren leicht wässrig und gesenkt. Er blickte den Schreiber nicht an aber seine leise Stimme sprach Worte, die er nicht genau Verstand, die aber in den Geist des Schreibers zu sickern schienen und ihm Ideen einpflanzte, die dieser zu Papier brachte. Seine schmale Gestalt bewegte sich selten aber, wenn er es tat dann Katzenhaft und sparsam. Seine weißen Haare bewegten sich leicht in der Brise, welche durch das geöffnete Fenster in den Raum strich.
Plötzlich durchbrach ein Laut die Stille. Etwas was hier nicht her gehörte. Ein heulen. Eine schrille Störung der Ruhe, die der Schreiber für sein Werk brauchte. Sein Blick glitt zurück zu dem Buch. Es war zugeschlagen. Es lag in seiner Hand. Er stand auf gefliestem Boden. Um ihn herum war immer wieder rotes Licht, was aufblitzte. Das Heulen kam auch von hier. Raphael blickte nach oben. Dort war ein Kasten mit einer roten Lampe, die unaufhörlich im Takt des Heulens blitzte.
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