Der Koreaner atmete heftig und blickte abwesend auf die Leiche vor ihm. Cuervo betrachtete ihn aufmerksam, lauschte aber auch in die Umgebung hinein. Die Schüsse hatten aufgehört und er spürte seinen kleinen Bruder im Gebäude umherstreifen.
Cuervo ging schließlich zu dem jungen Mann hin und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Koreaner blickte zu ihm auf, sie mussten beide nichts sagen und verstanden sich so. Cuervo reichte ihm eine Hand, an der er sich hochzog. Der ehemalige Malkavianer wartete einen Moment, bis sein Gegenüber sich gefasst hatte, bevor er meinte: „Du gehörst nicht zum Gefolge des Daimyo, aber du wusstest wonach du suchst. Hast du Informationen darüber wo er sich aufhält?“
Das Kopfschütteln wurde von einem Misstrauischen Blick begleitet: „Ihr sucht den Kopf dieser Hurensöhne? Seid ihr Lebensmüde? Wer seid ihr denn nun?“
Otouto schlenderte um die Ecke und antwortete: „Das sind aber viele Fragen auf einmal.“
Er blieb schrägt hinter Cuervo stehen und meinte dann: „Das ist Sho und mein Name ist Kei, wer bist du?“
„Tin-chen.“, war die knappe Antwort. Er betrachtete die beiden Japaner nun genauer.
Cuervo sann einen Moment über die Namen nach, die sein kleiner Bruder gerade benutzt hatte, schloss dann die Augen kurz und wandte seinen Kopf halb zu Otouto nach hinten: „Hast du drinnen noch irgendetwas gefunden?“
„Sieht so aus, als wäre er länger nicht mehr da gewesen. Die Signatur ist schwach, er muss sich irgendwo anders versteckt halten.“
Cuervo schüttelte sacht den Kopf: „Ich weiß, dass er da war.“
„Dann bist du falsch informiert.“, Otouto schlenderte weiter, an Tin-chen vorbei. Cuervo betrachtete ihn nachdenklich. Er hatte sich über die Jahrtausende deutlich verändert. Ohne stehen zu bleiben fügte er noch an: „Kommst du? Es ist bereits dunkel, das Abendessen wartet nicht auf Schildkröten.“
Das war der Moment, wo Cuervos innere Alarmglocken läuteten. Diesen Satz hatte Otouto damals von sich gegeben, wenn sie wirklich in Schwierigkeiten steckten. Also nickte er und folgte seinem kleinen Bruder. Als er direkt an Tin-chen vorbei ging, ergriff dieser ihn am Arm: „Wo wollt ihr jetzt hin? Hier laufen nur Verrückte herum!“
Cuervo blickte dem Koreaner direkt in die Augen und spürte den magischen Schild reagieren, welcher ihn vor übernatürlicher Beeinflussung schützte. Tin-chen blinzelte irritiert und ließ Cuervo los, scheinbar hatte er gerade irgendeine Gedankenmanipulation versucht und war gegen die Mauer gekracht, die Cuervo umhüllte.
Der uralte Japaner ging weiter, ohne darauf zu reagieren und schloss zu Otouto auf. Tin-chen schaute den Beiden nach.
Nachdem sie um die Ecke gebogen waren, beschleunigten sie ihre Schritte um ein vielfaches bis sie schließlich in einen Dauerlauf verfielen. Cuervo stoppte bei einem Wagen und wollte gerade nach dem Griff der Fahrertür greifen, als sein kleiner Bruder ihn am Handgelenk packte und weiter zog: „Das bringt nichts, komm!“
Ohne zu zögern liefen sie weiter, über Trümmer und Leichen. An Gebäuden vorbei die genauso ramponiert aussahen wie die Straße, in den Stadtpark hinein. Otouto blieb schließlich auf der Lichtung, vor dem Planetarium stehen: „Wo willst du hin?“
Cuervo drehte sich um und guckte zu seinem kleinen Bruder: „Es gibt hier keinen sicheren Ort mehr.“
Otouto nickte nur.
Sein älterer Bruder atmete durch, ehe er weitersprach: „Er war es. Warum hast du mich nicht vorgewarnt?“
„Es gab keine Gelegenheit… er hat sich wirklich Mühe gegeben uns zu täuschen – wollte uns wohl begleiten.“, Otouto steckte seine Hände in die Hosentaschen und blickte zum Himmel, an dem der rote Stern zu sehen war.
Cuervo schüttelte den Kopf: „Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hat er mich fast vernichtet. Warum jetzt dieses Spiel? Hat er an Kraft verloren? Er weiß wer du bist!“
Otouto wandte den Blick nicht vom Himmel ab, als er antwortete: „Genau deswegen, ani.“
„Das musst du mir erklären.“, Cuervo gesellte sich direkt zu ihm.
„Ich bin der direkte Nachfolger des Tenno, in den Augen einiger sogar jetzt schon sein Vertreter. Sie werden annehmen das ich dich kontrolliere.“
Cuervos Miene wurde ernst. Er hatte seine Ruhe nach dem Lauf wieder zurück und blickte seinen kleinen Bruder fast schon strafend an. Otoutos Blick wanderte vom Himmel in die Augen seines Bruders und dann zuckte er mit den Schultern: „Nenn‘ es einen taktischen Vorteil, wenn die Daimyo uns nicht als Gegner ansehen.“
Es klatschte laut, als Otouto die Hand seines Bruders im Gesicht spürte. Fassungslos öffnete er den Mund. Cuervos Blick war vernichtend. Für einen Moment war es, als wäre diese Szenerie eingefroren. Schließlich schloss Otouto seinen Mund wieder und Cuervo musste blinzeln.
Otoutos Wange färbte sich langsam in einer Handsilhouette rot, bis Cuervo schließlich meinte: „DAS war NICHT der Weg, der dir vorbestimmt war!“
Sein kleiner Bruder erwiderte den Blick noch immer, seine Miene war ebenfalls ernst geworden: „Wir haben beide getan, was nötig war, um die Lebensesser und Todbringer zu vernichten. DU bist zum Schlächter geworden, der schlimmer als sein Dämon geworden ist – und ich bin kurz davor den Tenno zu ersetzen, um mit der mir dann gegebenen Macht die Kuei-Jin aus zu löschen…. und ich bin froh, dass du wieder lebst. Die Ka-Jin werden wir auch anders vernichten können, ich werde einfach als Tenno mein Volk gegen sie hetzen.“
Cuervo schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als er sie wieder öffnete lag Traurigkeit in seinem Blick: „Du hast keine Ahnung was du da sagst. Die Macht ist dir längst zu Kopf gestiegen. Ich weiß, wovon ich rede. Dein Plan wird die Welt vernichten. Eine ganze Rasse zu vernichten kostet viel Kraft und Ressourcen – die man aus dieser Welt zieht. Aber gleich zwei Völker aus rotten zu wollen, die eng mit der Menschheit verbunden sind – wird alles zerreißen.“
Er deutete zum Himmel: „Der rote Stern bedeutet, dass Blut die Welt tränken wird. Wenn du der Auslöser dafür sein willst, werde ich dir nicht im Weg stehen – aber ich werde dir auch nicht dabei helfen. Unsere Schwester war immer dagegen. Sie hat mir Grenzen gesetzt, als du nicht da warst. Als ich dich für tot hielt. Der Bruder, der damals um meine Menschlichkeit gekämpft hat… ist gestorben durch die Lebensesser und dafür wollte ich Rache. Doch um so mehr ich vernichtete, um so mehr verlor ich mich selbst. Ich konnte mich nur an uralten Regeln festhalten, die wir uns einst geschmiedet hatten. Diese neue Welt hier funktioniert aber anders. Sie hat uns überlebt und hat sich weiterentwickelt. Wir nicht. Wir sind immer noch die gleichen alten Narren, die in ihrer alten Welt leben. Wir gehören hier nicht mehr hin, Otouto.“
Sein kleiner Bruder schüttelte den Kopf: „Ich werde das zuende bringen, um unsere Seelen rein zu waschen.“
Cuervo betrachtete ihn noch einmal lange, ehe er sich umdrehte und zwischen den Bäumen verschwand.
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