Ich stand in vollkommener Schwärze, die langsam meiner veränderten Sicht wich. Die Schicksalsfäden wurden sichtbar und ich betrachtete sie genau. Drei goldene Fäden, zu denen ich mir Anastasia, Rain und die Doktorin vorstellte. Ich schob sie gedanklich etwas auf Abstand, brauchte Platz zum sortieren. Dann war da der kräftige rote Faden, welcher nach Japan ging. Auch nichts unerwartetes. Ich behielt mir Umeko im Hinterkopf und betrachtete nachdenklich die beiden schwarzen Fäden. Einer davon führte zu Jasmin… ich verzog das Gesicht dabei. Ihr Abbild erschien direkt vor mir und ich betrachtete sie eingehend. Sie hatte sich verändert… passte sich immer mehr Ryuo an.
Dieser stand nun neben mir, als hätte der Gedanke an ihn dafür gesorgt, dass er da ist. Mit einem Schubs beförderte er sie auch von uns weg – etwa auf die gleiche Entfernung wie Anastasia und Rain. Die Doktorin stand noch viel weiter dahinter.
Überrascht blickte ich ihn an. Der schwarze Faden von Jasmin ging zwar durch mich durch, endete aber bei Ryuo – und da war noch einer, der von ihm kam. Ich folgte dem zweiten schwarzen Faden mit dem Blick und hob beide Augenbrauen als ich sah, dass Rain das Ziel war. Ryuo zog an dem Faden und Rains Gestalt schwebte etwas näher an uns heran. Mit einer ungesunden Ahnung suchte ich Ryuo nach weiteren Schicksalsfäden ab.
Aus seinem Rücken waberten Unmengen von Fäden aus ihm heraus, alle in verschiedenen Grautönen. Sie alle waren farblos… was bedeutete das? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die Unterschiede genauer zu sehen. War das ein Rotstich in dem schwarzen Faden, der zu Rain führte?
Ich schrie auf, als Ryuo seine Fäden in mein Gesicht peitschte, sodass mein Kopf zur Seite geschleudert wurde. Blutige Striemen zeichneten sich auf meiner Wange ab. Meine Haut brannte und als ich den Blick wieder zu ihm wandte schaute er mich warnend an. Aber mir war jetzt klar, dass seine Schicksalsfäden nicht unbedingt alle schwarz sein mussten – ich konnte nur die Farben nicht sehen. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass ich noch nicht genug über diesen Teil meiner Seele wusste.
Ich wandte mich wieder meinen eigenen Schicksalsfäden zu und versuchte die restlichen zuzuordnen. Dabei kamen mir die Verbindungen zu den Anderen auf. Es gab einen roten Faden, der von Anastasia wefgührte und bei Gambit endete… ein geisterhafter, der wiederum von ihm wegführte zu Blaze, die selbst geisterhaft war. Zwei weitere Fäden von ihr gingen zu Susannah und Jasmin. Ich runzelte die Stirn und schaute noch mal zu Gambit, der förmlich eingewickelt war in Fäden anderer Leute – aber ich war mir sicher, dass fast keiner davon auch von ihm ausging. Mein Blick glitt wieder zu Anastasia, da waren Verbindungen zu Vasili und Marek, zu den anderen Opfern dieses seltsamen Ritus… Moment.
Misstrauisch betrachtete ich den Faden zwischen Gambit und mir, der mir vorher gar nicht aufgefallen war. Ich zog etwas daran und sah mit Schrecken, wie sich das gesamte Konstrukt bewegte – von Jasmin und Anastasia ausgehend. Alles war irgendwie verbunden…
Ich lies wieder los und drehte mich herum. Ryuo drehte sein Katana in der linken Hand spielerisch herum und hob den Blick, bis er mir höhnisch in die Augen blicken konnte: „Du sitzt wie eine Fliege im Spinnennetz. Das war bei Ronja schon so und das wird sich auch nie ändern. Weil- “ Der Rest des Satzes kam zwar noch immer von Ryuo, aber irgendwie bewegten sich Gambits Lippen synchron dazu: „-du hast dich nicht verändert.“
Ich klatsche Ryuo meine flache Hand ins Gesicht. Das war viel entwürdigender als dies mit der Faust zu tun: „Kannst du endlich mal aufhören in der Vergangenheit herum zu stochern?“ Sein Unterkiefer schob sich nach vorne und er erdolchte mich bereits mit seinem Blick. Da ging mir auf einmal ein Licht auf.
„Warte mal… DU bist derjenige, der von der Vergangenheit zehrt. In den letzten 4 Jahren warst du vollkommen verschwunden… alles was dich aus macht war davor. Alles was in Berlin passiert ist hat dich gefüttert – und du weißt genau, dass du mich nur damit aus der Ruhe bringen kannst. Weil du in der Gegenwart keine Anker hast. Weil ich mich eben doch verändert habe!“
Seine Antwort klang wie aus zwei Stimmen gleichzeitig: Meiner und der von Gambit: „Und was ist mit Jasmin?“
„Das warst DU!„, verdammt das stimmte sogar irgendwie für Beide. Ryuo grinste. Ich schüttelte den Kopf: „Nein… Unsinn… jeder hat seinen Teil dazu beigetragen.“
Die doppelte Stimme antwortete: „Du schaffst es eben immer wieder, diejenigen, die dir was bedeuten, beinahe um zu bringen.“
Ich trat einen Schritt zurück, blickte mich zu Gambit um, der mich tatsächlich direkt anschaute. Ich schüttelte den Kopf: „Ich weiß was du vorhast, Ryuo. Aber das wird nicht funktionieren. Du bekommst Anastasia auch nicht über Gambit klein.“
Ryuo lachte: „Aber ihn über sie.“
Ich fixierte Ryuo mit dem Blick. Hatte ich mich geirrt? Wollte er gar nicht Anastasia töten weil er sich von ihr gekränkt fühlte? Wollte er sie töten, um Gambit in die Knie zu bringen? Was für ein bescheuerter Plan. Das würde doch nie funktionieren… Ich war auf einmal unsicher was das betraf. Gambit hatte sich nämlich verändert. Vielleicht…. hat er es geschafft für sich mit Blaze ab zu schließen – also wirklich. Ohne Verdrängung oder Vorgeben es sei ihm egal. Das war es nie gewesen… Der Kerl gewann gerade ziemlich viel Sympathie.
Das war nicht das, was Ryuo wollte. Mit einem gezielten Hieb wirbelte er das Katana um mich herum. Aber er verletzte mich nicht. Das wollte er auch gar nicht. Er hatte die Schicksalsfäden mit dem Katana durchgeschlagen, sodass ich nur noch einen einzigen hatte – die Verbindung zu Ryuo selbst. Irgendwie brachte mich das aus dem Gleichgewicht.
Dem nicht genug, fielen alle Leute um, die an den Fäden hingen. Es war wie Domino – einer nach dem anderen Riss sich gegenseitig um. Sie fielen alle. ALLE!
„Scheiße…„, das durfte nicht sein. SO wichtig konnte ich nicht sein… unmöglich!
Ich drehte mich wieder zu Ryuo um, voller Unverständnis.
Dann erstarrte ich in der Bewegung.
Die Spitze des Ankh-Schlüssels war auf mein Herz gerichtet und ein stechender Schmerz zog durch dieses, als Ryuo den Schlüssel herumdrehte.
KLICK.
Schreibe den ersten Kommentar