Der Rauch des Feuers stieg in den klaren, blauen Himmel empor und Ben saß Olaf immer noch gegenüber, welcher nun schon seit einigen Minuten Blätter, Kräuter und Harz in einem Mörser mit einem Pistill vermischte. Die Sonne stand hoch am Himmel und erwärmte die Luft auf eine angenehme Temperatur. Über dem Feuer hing ein kleiner Kessel aus kaltgehämmerten Eisen in dem es brodelte und zischte. Ein würziger Duft stieg Ben in die Nase, als Olaf den Kessel vom Feuer nahm und mit einem Holzbecher etwas von dem Inhalt abschöpfte.
„Trink das.“
Der alte Garou hielt Ben das Getränk hin und dieser griff danach. Seufzend nahm Ben einen Schluck und lies den heißen Kräutertee in seinem Magen explodieren. Die wärme strahlte von seiner Körpermitte aus und breitete sich über alle Gliedmaßen hinaus aus. Am meisten sammelte sie sich jedoch an der Wunde, die Titus ihm zugefügt hatte. Zischend zog er die Luft ein, denn die Hitze steigerte sich immer weiter und wurde bald unerträglich. Bens Augen weiteten sich. Die Schmerzen wurden immer größer. Seine Glieder wurden langsam kalt. Die Hitze konzentrierte sich nur noch auf die beiden Wunden, in seinem Oberkörper. Die Schnitte wurden immer heißer und, als Ben den Blick senkte sah er wie die Verbände bereits verbrannt waren und das Fleisch glühte, als wäre es Stahl der direkt aus dem Schmelzofen kam. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er nahm die Bewegung nur verschwommen war, die sich auf ihn zubewegte. Olafs Stimme drang nur leise durch das Rauschen in seinen Ohren, zu ihm durch.
„Schlaf Ben.“
~*~
Es war Grau. Alles Grau in Grau. Das Grün der Bäume, die Blüten der Pflanzen, das Blau des Himmels, selbst das Gelb der Sonne. Alle war Grau. Eine trostlose Landschaft. Er sah Titus, der vor etwa einem Dutzend anderer Männer und Frauen eine flammende Rede hielt. Die Leute waren Freunde. Er kannte sie alle und er wusste ihre Namen. Kannte ihre Eltern, Geschwister und Tanten. Titus feuerte sie an. Auch, wenn es hier keine Geräusche zu geben schien. Für ihn sprachen die Körpersprache und die Mienen der Anwesenden Bände. Er peitschte sie auf. Anschließend Lies er einen Handspiegel herumgehen und einer nach dem Anderen verschwand. Die unscharfe Szenerie verschwamm vollends und erst langsam wurde das wirbelnde Grau wieder zu einem festen Bild. Schwarz wurde zu Schatten. Grau zu Konturen und Weiß zum füllenden Element. Ben blickte auf dieselbe Lichtung wie eben. Nur das diesmal die Leute nicht mit grimmigen Gesichtsausdrücken Titus lauschten, sondern mit schmerzverzerrten Mienen am Boden lagen, knieten oder sich über Andere gebeugt dasaßen.
Es war das Bild nach einer Schlacht. Einer verlorenen Schlacht, wie es aussah. Die Wunden, welche die Körper bedeckten waren tief und bei vielen hatte der Heilungsprozess bereits eingesetzt aber nicht bei allen. Titus selbst hatte es schwer erwischt. Er blutete aus einer Halswunde und sein linkes Bein stand in einem ungesunden Winkel von seinem Körper ab.
Plötzlich heulte einer der Wölfe auf und seine Schultern bebten, als er sich weinend über seine Schwester beugte, die den Wunden erlegen war. Es war zu viel für ihren schwachen Körper gewesen. Ben versuchte wegzugehen aber es ging nicht. Es schien als wäre er nur Zuschauer, der die Kameraeinstellung nicht beeinflussen konnte. Sein Körper gehorchte ihm einfach nicht. Er konnte weder den Kopf drehen noch die Beine bewegen, um diesen grausamen Anblick zu entfliehen. Einer der Garou blickte zu ihm herüber und winkte ihn heran. Er wollte gehen. In den Augen des Mannes lag blanke Panik, denn er hatte Angst das ein weiteres Rudelmitglied sein Leben lassen würde, wenn Ben ihm nicht half aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Er konnte nur stehen und zusehen. Dirk kam auf ihn zu. Ja es war eindeutig Dirk, die zerzausten blonden Haare waren, wenn es hier auch keine Farbe gab, unverwechselbar. Sein Mund bewegte sich schnell. In seinem Gesicht wechselten sich Wut, Verzweiflung und Angst ab. Er schüttelte ihn an den Schultern aber es erreichte ihn nicht. Die Panik seines alten Freundes lies ihn einfach kalt. Er konnte ihm nicht helfen, auch wenn er wollte stand er hier wie angewurzelt.
Die Lippen seines Gegenübers bildeten Worte, die er von seinen Lippen ablesen konnte.
„Hilfe Ben! Hilf uns! Wir sterben!“
Ben konnte nichts tun, außer zusehen.
~*~
Die Welt zerbrach, als das Schreien der verwundeten Wölfe zunahm. Titus kam auf ihn zu. Seine Halswunde pulsierte und bei jedem Schlag trat mehr Lebenssaft aus ihm heraus. Das Blut tränkte sein Hemd, dann seine Arme und schließlich die Beine. Immer schneller schien sein Herz zu schlagen und immer schneller quoll der Strom heraus. „Aufhören!“ wollte Ben ihm zurufen, aber auch sein Mund blieb geschlossen. Seine Lippen verzogen sich sogar zu einem siegessicheren Lächeln. Er hörte eine Stimme. Keine menschliche Stimme, sondern ein Krächzen, das mehr an eine ausgetrocknete Leiche erinnerte.
„Stirb Titus…stirb zusammen mit deinem Rudel!“
Erst langsam ging ihm auf das dies seine eigene Stimme war. Sie kam aus seiner eigenen Kehle. Der Blick seiner Augen senkte sich langsam auf seine Brust hinab, wo er nicht etwa Haut sah, die sich langsam hob und senkte, sondern Knochen. Nur noch wenige Fetzen verfaultes Fleisch hingen an seinen Rippen und sein Herz lag pumpend und pechschwarz hinter dem Käfig aus Knochen den sein skelettierter Körper bildete.
Wieder hob sich sein Blick und erkannte das sich der Körper von Titus sich veränderte. Seine blutüberströmten Gliedmaßen wuchsen an. Verkrustetes, drahtiges Fell spross aus seinem Körper hervor. Sein Gesicht zog sich in die Länge und eine Wolfsschnauze trat hervor. Die Ohren spitzten sich zu. Sein Brustkorb dehnte sich und auch die Wunde öffnete sich weiter. Mehr Blut floss aus dem Körper. Das Herz pumpte noch schneller und dann schoss seine Pranke nach vorne. Zerschmetterte seine dünnen Rippen und ergriff sein schwarzes pumpendes Herz. Quetschten es zusammen und rissen es heraus. Ein Glitzern trat in seine gelben Wolfsaugen, als er das immer noch schlagende Ding vor sein Gesicht hielt wo es unbeeindruckt weiter schlug. Ben wollte danach greifen aber seine Arme schienen Tonnen zu wiegen. Jetzt bemerkte er auch die Kälte, die von seinem Inneren aufstieg. Es war allerdings keine unangenehme Kälte, sondern die leichte Kühle eines Abendwindes nach einem heißen Tag. Er versuchte einzuatmen und es gelang ihm. Die Gestalt von Titus verschwamm und machte einem klaren Himmel platz. An seine Ohren kamen auch wieder Geräusche. Das leichte pfeifen des Windes, ein prasselndes Feuer neben ihm, sein schlagendes Herz in seiner Brust. Ächzend zog er sich in eine sitzende Position empor, wobei ihm der Verband auffiel, der um seine Brust gebunden war. Er war frisch das roch er. Sein alter war zwar auch noch gut gewesen, denn die Dorfbewohner hatten ihn ebenfalls schon verarztet. Allerdings spürte er unter dem verband eine gewisse Kühle und sein tasten bestätigte den Verdacht. Olaf hatte eine Salbe unter dem Verband verteilt, während er geschlafen hatte. Aber wie lange hatte er geschlafen? Sein Blick glitt nach Westen. Tatsächlich ging die Sonne gerade unter. Er hatte den ganzen Tag verschlafen.
„Wie hast du geträumt Ben?“
Der Ghural schüttelte den Kopf.
„Nicht besonders gut. Aber ich weiß nun was geschehen wird, wenn ich nicht zurückkehre.“
„Also ist deine Entscheidung gefallen?“
„Ja. Ich danke dir.“
„Dafür nicht mein Freund.“
Olaf erhob sich gleichzeitig mit Ben und beide gaben sich die Hand. Olafs griff war trotz seines zarten Körpers fest und trocken. Etwas das einem Sicherheit gab. Mit einem letzten winken verabschiedete Ben sich und blickte in den Kessel über dem Feuer, in welchem sich nun Wasser befand.
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