Stimmung
Spice schlug die Augen wieder auf, sie war allein. Vorsichtig setzte sie sich auf. Was war geschehen? Wo war sie? Ihr Atem stockte, als sie das Blut vor sich sah. Das Bett, die Decke…und sie selbst waren voller Blut. Etwas schnürte sich in ihr zusammen und sie hatte das Gefühl ihr Verstand würde sich zusammenrollen um sie dann wieder auszuspucken.
Ein hoher, gellender Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie das Blutbad realisierte. Sie musste irgendjemanden getötet haben. Ihre Augen rollten sich beinahe nach innen und für einen Moment schien die ganze Welt stehen zu bleiben. Das Blut pulsierte in ihr, als war es das letzte menschliche, dass sie noch auf dieser Welt bannte. Mit zitternden Händen griff sie nach dem Kreuzanhänger um ihren Hals und umklammerte diesen. Ein Stich fuhr durch ihre Finger.
Spice schrie abermals, hell und spitz – und ohne Ende.
Niklas schreckte aus seinem Schlaf auf, bereits der erste Schrei hatte ihn geweckt. Als nur wenig später die Hysterie in ihrer Stimme zum Ausdruck kam, beschleunigte er seine Schritte, die ihn bereits über den Flur trugen. Er nahm Huan nur am Rande wahr, riss die Tür auf und knallte sie direkt hinter sich wieder zu. Für einen Moment versagte sein Herz ihm den Dienst, als er das viele Blut sah, Spice hörte gerade auf zu schreien und begann schnell in ihrer Heimatsprache zu sprechen. Sie wiederholte die Worte immer wieder und zitterte am ganzen Körper. Sie schien zu beten.
Niklas wollte wirklich zu ihr, aber die Szenerie bannte ihn. Er fluchte innerlich, als die Wände wieder Wellen schlugen und sich mit Blut überzogen. Der Boden bildete Blutlachen und es waren zerfetzte Körperteile auf ihm. Er wusste, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war, wie er es jetzt sah. Dennoch fing ihn die Erinnerung der vergewaltigten Heimat wieder ein. Niklas lehnte mit dem Rücken an der Tür.
Das bizarre Bild von Spice, die in ihrem Wahn Gebete runter ratterte, inmitten von dem vor Blut triefendem Bett verstärkte sich noch, als wieder der Schriftzug erschien, der im Schlafzimmer seiner Eltern in Blut an der Wand gestanden hatte. Die Buchstaben quollen durch die Wand, direkt über Spices Kopf. Niklas konnte sich nicht rühren, ihm blieb fast der Atem weg.
Spice nahm die Hände von dem Kreuz und legte die Handflächen aneinander. Ihre Stirn drückte sie dagegen und ihre Stimme überschlug sich fast. Sie wippte mit dem Oberkörper vor und zurück, während sie ihren Gott um Vergebung bat. Es war nur noch ein Flüstern, dass sie von sich gab, dafür war es schnell und voller Angst.
Niklas blinzelte und bemerkte, wie sich sein Alptraum langsam auflöste. Goldene Linien zogen sich durch das bizarre Bild und es ging von Spice aus. Offensichtlich war ihr Glaube stark genug, um den Schrecken zu vertreiben. Allerdings zogen sich diese leuchtenden Risse auch durch ihren eigenen Körper, schon bald begann dieser an unterschiedlichen Stellen an zu qualmen. Spice wimmerte, aber sie sprach hastig weiter.
„Hör auf!“, mit einem Satz war Niklas bei ihr, konnte sich durch den Anblick, wie sie begann sich selbst zu vernichten, aus seiner Starre befreien. Er nahm sie an den Schultern und schüttelte sie, vielleicht stärker als geplant. Ihr Kopf schwang herum und sie stockte kurz in ihren Worten, doch kurz darauf fing sie an panisch wild um sich zu schlagen.
Niklas ignorierte die Hiebe und hob sie auf, da sie sich aus der Umklammerung raus wand, legte er sie kurzerhand über die Schulter. Sie trommelte auf seinen Rücken ein und wurde wieder hysterisch. Niklas riss die Tür wieder auf und beeilte sich, um zum Badezimmer mit ihr zu gelangen. Dummerweise passierten sie dabei Huan.
Spice schrie auf: „War ich das?!“, nur um kurz darauf wieder in ihr Wahngebet über zu gehen. Ihr wäre es lieb gewesen, wenn ihr Kopf einfach explodierte, damit sie endlich erlöst war. Niklas beschleunigte seinen Schritt, sie fing schon wieder an sich selbst zu rösten.
Er schloss nicht mal mehr die Badezimmertür, riss einfach den Duschvorhang zur Seite, drehte mit einer schnellen Handbewegung das kalte Wasser auf und fixierte Spice in der Duschwanne. Seine Lippe platzte auf, als sie weiter um sich schlug. Er packte ihre Handgelenke mit der einen und ihre Schulter mit der anderen Hand um sie wieder ins Sitzen zurück zu drücken. Kurz flackerten in seinem Bewusstsein seine Freunde auf, die er alle schon mit der gleichen Methode nach einer Überdosis kuriert hatte.
Spice wandte sich auch nur noch für einen weiteren Augenblick in ihrem Wahn, bis sie realisierte wo sie war. Sie starrte Niklas für einige Herzschläge einfach nur an. Es kostete ihn viel Willenskraft sie dort fest zu halten. Doch jetzt, wo er ihre Aufmerksamkeit hatte atmete er innerlich etwas auf. Blöd nur, dass sie jetzt wirklich unter Schock stand.
„Erinnere dich.“, versuchte er selbst ruhig zu sprechen. Er spürte das Blut sein Kinn hinab tropfen. Sie verzog ängstlich die Augenbrauen. „Weißt du noch, bei mir zu Hause?“, er ließ ihre Schulter los und griff nach ihrer Wange, strich mit dem Daumen darüber. Sie blickte ihn einfach nur an, ihre Augen wirkten fast leer, sie hatte aufgehört zu beten.
„Du hast dir fast ne Kugel in den Kopf gejagt, ich hab‘ keine Lust, dass du sowas nochmal versuchst, okay?“, Spice hyperventilierte. Niklas runzele die Stirn, sie brauchte doch überhaupt nicht mehr zu Atmen. Sie zitterte am ganzen Körper und verdrehte die Augen wieder.
„Schau mich an!“, Niklas beugte sich zu ihr hin, das eiskalte Wasser ignorierte er für den Moment. Er hob ihr Kinn an, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihn nun wirklich erkannte.
Weinend brach sie in seinen Armen zusammen.
Mit dem Fuß gab Niklas der tür einen Tritt, damit diese zufiel und machte das Wasser wieder aus.
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