Ich lag auf dem Bett, hatte die Augen geschlossen und sog die Stille in mir auf, die mich umgab. Es war ewig her, dass ich tatsächlich alleine gewesen war. Irgendjemand wuselte immer um mich herum, wenn man es so nennen konnte. Ob nun die letzten vier Jahre in Japan oder sogar wenn ich wieder in Berlin zu Besuch war, der Dojo war ja auch nie wirklich leer und ich war abends ausgegangen. Seltsam eigentlich – vor meiner Wandlung war ich immer allein, hatte mich nur um meine Arbeit gekümmert. Seit… meine Eltern gestorben waren. Nicht die, die mich zeugten. Die, bei denen ich aufgewachsen war. Das waren meine Eltern, aber mit ihnen starba uch ein Teil von mir.
Dann starb ich wirklich, fühlte mich noch immer einsam, obwohl ich stets von anderen meiner Art begleitet wurde. Ich klammerte mich an sie auf die ein oder andere Art. Aber letztlich war es ein schlechter Ersatz für meine Einsamkeit, für meine Familie – und alles was ich verdrängte. Ich ließ mich treiben und erst als ich Wiedergeboren wurde, war das Chaos perfekt. Mein Altes Leben, mein Unleben und mein neues Leben kollidierten und am Ende war da nur noch ein Scherbenhaufen, den ich selbst verursacht hatte. Das was sich daraus noch zusammensetzen ließ nenne ich heute Ryuo.
Ist das wirklich alles? Ein Abbild meiner Fehler?
‚Hey!‚, ich stieß meinem dunklen Abbild mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Er durchbohrte mich mit seinem Blick, war sichtlich erzürnt darüber. Mir fiel auf, das ich ihn noch nie angefasst hatte – von mir aus.
‚Sag mal, kann es sein, dass du nicht nur ein Teil von mir bist?‚, fragte ich ihn weiter. Er öffnete die Lippen leicht, sodass seine zusammengebissenen Zähne sichtbar wurden. Ich tippte nochmal mit meinem Finger gegen seine Brust und er wich ein bisschen nach hinten aus: ‚Vielleicht bist du ja der Fluch der Familie. Vielleicht hat mein Bruder das gleiche Problem.‚
‚Wie kommst du auf soeinen Schwachsinn?‚, er machte einen Schritt zurück. Das Pieksen nervte ihn.
‚Ingas Wächter meinte, dass Akio ihn vor jemanden gewarnt hat, der genauso aussieht wie er, aber anders ist. Vielleicht meinte er ja gar nicht mich, sondern seine andere Seite. So wie du.‘
Ryuo schüttelte mit dem Kopf und machte noch einen Schritt zurück, er hob die Hände, um mir zu zeigen, dass ich ihn in Ruhe lassen sollte.
Ich grinste ihn an: ‚So einfach kommst du mir nicht davon. Na los, raus mit der Sprache. Er ist mein Zwillingsbruder, warum sollte er also nicht das gleiche Problem haben, hm?‚
‚Du nimmst dich viel zu wichtig.‘, entgegnete Ryuo.
‚Unsinn. DU nimmst dich viel zu wichtig! Wer sagt, dass du einmalig bist? Wo steht geschrieben, dass diese Form der Bewußtseinsebenen nur ein einziges Mal auftreten soll?‚, ich machte wieder einen Schritt auf ihn zu: ‚Vielleicht gibt es noch viel mehr, vielleicht sind die mehr im Gleichgewicht oder man meint einfach sie seien sprunghaft. Nur weil wir bisher noch niemanden getroffen haben, der genauso ist, heißt das nicht, dass es diese Leute nicht gibt!‚
Ryuo ergriff mein Handgelenk, als ich ihn schonwieder gegen die Brust piekste: ‚Ist das jetzt deine Erklärung, dass du nicht verrückt bist?‚
Ich lachte auf: ‚Ist das dein Plan? Mir einzureden ich sei verrückt? Der einzig Verrückte hier bist du, mein Lieber. Du legst dich mit einer Kreatur an, die ein Gebiss wie ein Haifisch hat, welches dich wahrscheinlich mit einem Haps verschlingt, sorgst dann noch dafür, dass der Euthanatos-Meister von Anastasia stinksauer auf dich ist und wenig später hast du das auchnoch mit dem anderen Meister von ihr hinbekommen. DAS, mein Freund, ist verrückt! Möchtest du gerne auch soeinen persönlichen Jäger haben, wie Gambit, ja? Der dann alles um dich herum mit umnietet, was dem im Weg ist? Du vergisst da was ganz wichtiges Ryuo: Du steckst in meinem Körper und wenn mich irgendwas killt, dass DU sauer gemacht hast, bist du genauso hin!‚
Seine Augen weiteten sich, damit hatte er nicht gerechnet. Er erkannte noch vor mir, dass ich ihm gerade gänzlich die Kontrolle entzog: ‚Stopp! Halt die Klappe!‚
‚Weißt du, die beiden Mädels haben Recht: Alles um einen herum auszulöschen ist eine ziemlich beschissene Idee. Was machst du, wenn Jasmin tot ist. Wenn du es endlich geschafft hast den letzten Funken Leben aus ihr heraus zu quetschen, den sie für dich mit Freude opfern würde? Besorgst du dir dann einen neuen Handlanger, den du genauso kaputt machst? Umso mehr du zerstörst, umso schwerer wird es werden Ersatz zu bekommen!‚, redete ich einfach weiter.
Ryuo fiel nichts besseres ein, als zu versuchen mir den Mund zu zuhalten, ich blockte den Angriff einfach mit einem Arm ab und schüttelte tadelnd den Kopf: ‚Weißt du was du bist? Nur eine dunkle Hülle! Alles das was dich ausmacht ist nichts weiter als ein Rahmen – du hast keinen Charakter, keine Tiefe. Deine Taten sind total oberflächlich, voraussehbar. Ich habe mich davon täuschen lassen, aber das ist jetzt vorbei. Du bist gar nicht so toll, wie ich glauben sollte. Du hast gar nicht die Möglichkeit deine ganzen Hasspläne durch zu führen – und weißt du auch warum?‚
Das er mir nichts darauf antworten konnte, war schon ein Sieg an sich.
Ich packte ihn an den Handgelenken und zog ihn nah an mich heran, um ihm direkt in seine unsicheren, blauen Augen zu sehen: ‚Weil ich sinnloses Töten nicht zulassen kann und ich dich immer besiegen werde, bevor du das erreichst!‚
Mein Tag endete mit einem Lächeln auf meinen Lippen, als ich in vollkommener Stille – auch in mir selbst – einschlafen konnte.
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