Dies hier war nicht meine Welt. Ich gehörte nicht hier hin. Das war es, was man mir eingeredet hatte – was ich selbst auch geglaubt hatte. Doch die Dinge hatten sich geändert. Ich saß hier fest und ich war schon viel zu sehr ein Teil des Ganzen geworden. Es war lange her, das ich über Dinge nachgedacht hatte. Jetzt hatte ich Zeit. Allein mit mir und meiner Trauer saß ich in der alten Fabrik und mein Kopf wurde klar, nachdem ich mir die Seele aus dem Leib geweint hatte.
Ich erhob mich langsam, seltsame Geräusche kamen aus der Ferne. Sie näherten sich dem Schauplatz und ich benötigte einige Zeit bis ich ahnen konnte um was es sich handelte. Ich hatte solche Gerätschaften selbst noch nie gesehen, aber der Klang war irgendwie vertraut. Das gleichmäßige zerschneiden von Luft durch die Rotoren klang ein wenig wie einer der Blutsauger die mit ihrer übermenschlichen Geschwindigkeit tödliche Tänze mit ihren Klingen machten.
Mein Blick glitt nach oben als die Fluggeräte über das Gebäude rauschten. Helikopter war die Bezeichnung, die mir in diesem Moment nicht einfiel. Sie flogen tief über der Fabrik, sodass ich ihre dunkle Farbe gut sehen konnte. Irgendwelche Nummerierungen waren an ihnen angebracht, aber damit konnte ich nichts anfangen. Ich machte ein paar Schritte, um durch das Loch in der Wand zu treten und mir das Spektakel genauer ansehen zu können.
Direkt vor meinem Gesicht befand sich der Lauf einer Schusswaffe. Mit schnellem Blick erkannte ich ein Schnellfeuergewehr, gehalten von einem Soldaten. Ich hatte Bilder davon gesehen, aber nie gedacht dem Militär mal persönlich gegenüber zu stehen. Es liefen noch mehr davon in den Trümmern herum – so weit ich sehen konnte zog sich eine Spur der Verwüstung von der Fabrik bis in die Tiefen der Stadt hinein. Gebäude waren gesprengt worden, Risse zogen sich durch die Straßen und hatten ganze Klippen geschaffen die das vorankommen stark erschwerten – die Erde blutete.
Ich hatte immer gedacht meine Wüste wäre die Hölle auf Erden gewesen. Das war ein Irrtum. Das Bild, welches sich vor mir erstreckte war genauso wie in den Kriegsszenarien, die sie in Filmen darstellten. Alles war zerstört und mittendrin gab es Soldatentrupps, die nach Überlebenden suchten. Ich erinnerte mich nur schwach an das Video, welches ich gesehen hatte. Für mich war es nicht mehr als verstaubte Geschichte gewesen. Das hier war jedoch real – und ich war mittendrin.
Der Soldat fuchtelte noch immer mit der Waffe vor meinem Gesicht herum und brüllte mich an: „Hände hoch und nicht bewegen!“ Ich tat ihm diesen Gefallen, weil ich nicht darüber nachdachte. Langsam jedoch beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich fing an zu realisieren was das hier alles bedeutete. Vielleicht war das meine Chance?
„Bitte, Sie müssen mir helfen! Mein Bruder ist noch da drin, er ist verletzt!“, ich klang mindestens so aufgeregt wie ich war und der Soldat gab seinen Kameraden ein Zeichen, damit sie zu ihm aufschlossen. Zu dritt gingen sie in das Gebäude hinein, während der eine mich hier draußen im Auge behielt. Immerhin zeigte seine Waffe nicht mehr direkt auf mich, weshalb ich meine Hände langsam wieder sinken ließ. Ich spielte weiter die Unwissende: „Was ist passiert?“
„Darüber kann ich jetzt nichts sagen.“, war die knappe Antwort. Er wollte nicht mit mir darüber sprechen, ich war nur eine Zivilistin die am falschen Ort war. Aufmerksam betrachtete er die Umgebung und ich konnte seine Anspannung sehen. Sie lockerte sich etwas, als einer der drei Anderen wieder aus dem Gebäude kam. Allerdings gefielen ihm die Neuigkeiten gar nicht.
„Er wurde gebissen, Hauser und Gret schauen sich jetzt den Keller an. Vielleicht hat sich der Angreifer dort versteckt.“, der Blick des Soldaten der diese Information von sich gab kreuzte meinen. Er war voller Misstrauen und ich ahnte, das sie mir die Schuld an dem Tod meines Bruders geben würden. Unbewusst spannten sich meine Muskeln an – ich bemerkte es erst als es anfing zu schmerzen. Sie durften nicht in den Keller gehen, dort lagen die anderen Vampire. Ich war mir sicher, dass die Soldaten sie vernichten würden.
Das war es nämlich, die Menschen hier wussten Bescheid. Sie hatten bemerkt, dass die Blutsauger unter ihnen wandelten und jetzt schickten sie ihr Militär um diese Gefahr der Menschheit los zu werden. Wenn die Geschichten wahr waren kam das Jahrtausende zu spät. Die Vampire hatten schon so lange die Fäden in der Hand gehalten, warum sollten sie gerade jetzt zulassen, dass ihre Marionetten sich gegen sie wandten?
„Ich hole den Sani, auch wenn ich nicht glaube das der ihm noch helfen kann.“, fuhr der Soldat fort.
Mir rutschte ein überraschtes „Er lebt noch?“ heraus und dann trugen mich meine Füße bereits wieder in das Innere des Gebäudes. Die beiden Soldaten riefen mir hinterher: „Sie dürfen da nicht wieder hinein, es besteht noch Gefahr!“, einer folgte mir direkt auf dem Fuße. Noch bevor ich meinen Bruder erreichen konnte, ergriff er mit seiner Hand meine linke Schulter. Mein Körper stoppte mit einem Ruck und ich ließ meinen Kopf zu ihm herumfahren. Der Soldat mit dem aufgenähten Namen C. Sturt erblickte Sorge in meinem Gesicht und sprach ruhig auf mich ein: „Hören Sie, es ist hier wirklich nicht sicher. Sie müssen das Gebäude sofort verlassen! Wir kümmern uns um ihn, wenn ihm noch zu helfen ist. Aber sie müssen hier raus.“
Er hatte Mitleid mit mir, aber das war wirklich das Letzte das ich jetzt gebrauchen konnte. Ich wollte zu meinem Bruder, vielleicht gab es noch Hoffnung. Sturts Griff war fest und er zog mich wieder aus dem Gebäude. Hinter mir hörte ich seinen Vorgesetzten: „Bring die Zivilistin hier weg!“
In diesem Moment hörten wir unten im Keller Schüsse.
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