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Just Breathe

Stimmung

Das war der Moment, der Schock war vorbei. Mein Körper zitterte und die einzige Möglichkeit dem Ganzen ein Ventil zu geben waren Tränen. Ich hatte mir eingebildet, die Wut durch körperliche Anstrengung zu kanalisieren. Aber es war überhaupt keine Wut, nur Unverständnis warum das eigentlich passiert ist. Unverständnis warum es mich getroffen hatte. Warum ich so nah am Tod vorbeigeschlittert bin – schon wieder. Wieder war es meine eigene Dummheit gewesen. Eve hatte Recht, wir mussten ja unbedingt alles an uns reißen. Aber das war es nicht allein. Wie hatte ich es die ganze Zeit ignorieren können?

Ryuo war ein Produkt meiner Selbst gewesen, er wollte alles vernichten was mir wichtig war um sich selbst zu stärken. Auch das wir Fetzen in die Arme gelaufen waren, war meine Schuld. Sicher, ich hätte ihn mit Umeko gehen lassen können… hätte ich? Eve hatte Recht, ich war nicht unbesiegbar, nicht unzerstörbar. Für den Nosferatu war ich nicht mehr als ein Insekt gewesen, welches er zwischen zwei Fingern zerquetschen konnte. Ein Insekt, dass sich gestern Nacht beinahe selbst vernichtet hätte. Ich hätte es wissen müssen. So viel Magick wie ich gestern gewirkt hatte – irgendwann musste es schiefgehen…

Meine Stirn legte sich auf den Boden, mein Kopf war schwer geworden. Es war unangenehm, es fühlte sich alles so falsch an. Die Nerven mussten zusammengeschmolzen sein, meine Haut war nicht viel mehr als eine teigige Hülle. Es war wie eine Ummantelung die mir das Gefühl gab eingeengt zu sein. Ich konnte nicht atmen. Mein größtes Organ war zerstört. Dieses Gefühl war viel schlimmer als mein äußeres Erscheinungsbild. Ich war eingesperrt in meinem eigenen Körper, das machte mich verrückt. Keine feinen Härchen mehr, die Berührung spürten. Die Haut spannte und war träge, jede Bewegung war unangenem, jede Berührung eine Qual. Ich war mir nichtmal sicher ob ich weinte, bis ich die Feuchtigkeit aus meinem Gesicht wischte um die Tränen auf meinen Fingern zu betrachten. Meine Augen brannten vom Salzwasser darin, wenn ich nicht wüsste, das es eine Möglichkeit gab das zu beenden… nein ich wusste nicht was ich dann tun würde – oder längst getan hätte.

Ich hoffte, es würde funktionieren, wieviel Schmerz mich das auch kosten würde. Danach, so schwor ich mir, würde ich nie wieder Magick anwenden. Gabe oder Fluch, ich brachte damit nicht nur mich selbst in Gefahr. Die beste Kontrolle darüber hatte ich, wenn ich es gar nicht erst benutzte. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass ich alles aus dem Ruder laufen lassen konnte nur weil ich keine Ahnung hatte was ich da eigentlich tat. Die Kugel und Ryuo waren nur der Anfang gewesen. Außerdem hatte Eve jetzt mehr als genug Todesängste durchgestanden. Wenn sie sich genauso gefühlt hatte wie ich, als Ronja uns entglitt… das musste ein Ende haben.

Aber Flucht war keine Möglichkeit. Überall gab es übernatürliche Kreaturen. Wir könnten so oft umziehen wie wir wollten und hätten ja doch keine Ruhe. Also blieb uns nur weiter zu leben, egal wo. Versuchen ein normales Leben zu führen und uns nicht mehr ein zu mischen… um unsere Liebsten zu schützen. Was für ein Schwachsinn! Das würde niemals funktionieren! Dann konnte ich mich auch gleich einsargen lassen. Diese Welt verlangte, das man stark war. Stark genug zum Überleben.

Ich erhob mich wieder und blickte in den Spiegel des Bades, welcher mir noch immer das gleiche grausige Bild zeigte. Sicher, meinen Freunden würde es vielleicht nicht mal etwas ausmachen. Aber für meinen Beruf war das der Freitod. Weder für den Dojo noch als Architekt konnte ich so irgendetwas erreichen. Es würde allemal für eine beleidigende Zeile im Klatschblatt reichen… und nach Japan konnte ich auch nicht mehr. Training… konnte ich vergessen. Ich hätte nie gedacht das soeine Äußerlichkeit mein Leben ruiniert. Sicher, mein Äußeres war nicht der Schlüssel zu meinem bisherigen Erfolg gewesen, da gab es weitaus besser aussehende Typen. Aber auch ein Schönling musste auf Dauer etwas leisten können, damit er nicht ausschließlich bei den Frauen im Bett landen konnte. Intelligenz und Kreativität brauchte es… redete ich mir das gerade ein?

Ruckartig trieb es mich aus dem Bad, vom Spiegel fort. Ich konnte so nicht da draußen herumlaufen. Alles war eine einzige Ansammlung von Brandnarben, die ziemlich skurril zusammengewachsen und bar jeglicher Behaarung waren. Eigentlich konnte ich froh sein, das meine Augen noch intakt waren… ich setzte mich und begann zu meditieren.

Ich besann mich der Techniken um Energie auf zu nehmen, zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen. Alles was ich tun konnte war Atmen. Meine Gedanken konzentrierte ich auf positive Erinnerungen. Ronjas erstes ehrliches Lächeln in meiner Gegenwart nachdem sie wieder lebendig war, Eves erster Gesang den ich miterlebte, meine erste Klavierstunde bei Umeko, das letzte mütterliche Lächeln mit dem Stolz in den Augen von Mama, meine erste Thai Chi Quan Lehreinheit bei Rin… ihre Führung durch das Tokugawa Anwesen, der Morgen nach unserem ersten Abend in der Bar.

Ich öffnete die Augen wieder, da ich stutzte. Obwohl es jetzt schon wieder etwas her war, hatte Rin sich tatsächlich in meinen Gedanken eingenistet. Es waren in der Tat viele angenehme Momente gewesen. Sie war eine tolle Geschäftspartnerin, verstand wo meine Ziele lagen, hatte einen scharfen Verstand und konnte mit ihren Ideen überzeugen. Neben einem Studium über etwas, das mir – zugegeben – zu hoch war, war sie eine talentierte Künstlerin und wusste wann man selbst mit anpacken musste, um die Dinge am Laufen zu halten. Außerdem hatte sie diese faszinierende Mischung aus Verständnis für das Traditionelle und dem Leben in der Moderne. Wir waren uns sehr ähnlich – und doch verschieden.

Aber alles was ich mit ihr verband war positiv und ich verspürte den Drang sie wieder sehen zu wollen… es ging nicht. Nicht nachdem was mit mir passiert war…

Die Sachen sahen so aus als wären sie mir zu groß, aber um so weniger berührten sie meine zerstörte Haut. Die Kapuze war so tief im Gesicht wie nur irgendwie möglich, das Kopftuch verbarg auch sehr viel und für den Mund und die Nase fand sich auch noch ein Tuch. Die Handschuhe anzuziehen war äußerst unangenehm, aber danach waren wirklich nur noch die Augen zu sehen – welche ich mit einer Sonnenbrille verdeckte. So dick eingepackt war zu dieser Jahreszeit nichts ungewöhnliches… aber es fühlte sich an als würde meine Haut wieder überhitzen, die Schweißproduktion war wohl auch defekt.

Ich schrieb ein paar Nachrichten, bevor ich ging. Meine Mitarbeiter wussten nun, das ich was ansteckendes eingefangen hatte und Blaze, Ben sowie Eve erfuhren das ich noch lebe und mich jetzt auf den Weg zu der Künstlerin machte. Ich hoffte nur, Ben würde wenigstens einmal die Klappe halten.

Draußen atmete ich die kalte Luft ein und fand dies noch nie so angenehm.

Published inRollenspiel-Storys

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