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Seelenwanderung

Tarot legte die Handflächen auf die beiden Schädel, sodass seine Finger über die Stirn von Huan und Markus glitten. An ausgewählten Punkten positionierte er seine Fingerspitzen, Mittel- und Ringfinger schlossen die Augenlider und verweilten dort sacht. Tarot schloss selbst seine Augen und konzentrierte sich…

Eine tiefe Stimme brummte durch das Bewußtsein Huans und schien eine Textphrase immer und immer zu wiederholen, es klang lateinisch und doch völlig fremd. Es war, als bebte alles unter dieser Stimme, kleine Schauer rasten durch das Nervenkonstrukt und brachten Huan und Markus ins Wanken.

Nach unbestimmter Zeit riss ein leuchtender Spalt die unbestimmbare Dunkelheit des Geistes auf. Ein verlockender Schimmer zog alle Anwesenden magisch an. Huan und Markus traten  wie in Trance darauf zu, eine sanfte Melodie erklang und hinter dem Licht formte sich eine Silhouette einer Frau, mit nichts mehr bekleidet als leichter Seide. Ihre goldenen Locken hingen an ihr herab, zerbrechliche Schmetterlingsflügel, an ihrem Rücken angebracht, klappten auf und zu und sie lächelte sanft. Ihre goldenen Augen strahlten Wärme aus.

Ein surrealer Aufschrei und Huan wurde zurück gerissen. Das gefiederte Wesen stieß seine Krallen tief in seine Schultern und riss ihn so schwungvoll zurück, dass er sofort den Boden unter den Füßen verlor. Ein Kampf entbrannte, das leuchtende Portal nach draußen war einfach zu verlockend, doch sein Tier riss ihn in den Abgrund seiner selbst. Federn und Blut schmückten den Weg dorthin, das konnte Markus kurz sehen, als er zurückblickte.

Er zögerte.

„Komm, komm.“, ein schwall an lieblichen Tönen drang an sein Ohr, die wunderschöne „Fee“ sprach zu ihm, streckte ihm die Hand entgegen. Markus wandte sich ab und wollte in das Loch hinabspringen, von der Treppe war ja nichts mehr übrig geblieben.

Da baute sich eine riesige, glibbrige Gestalt vor ihm auf. Die Stierhörner des Dämons waren seit der letzten Begegnung ordentlich gewachsen und überhaupt wirkte er größer. Seine rot brennenden Augen und der schwarze, ätzende Geifer, welcher aus seinem Maul triefte, machte die ganze Gestalt nicht gerade ansehnlicher. Der Dämon brummte: „Du bleibst auch hier!“

Markus stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief: „Achja? Das wollen wir erstmal sehen, Wichser!“ Ohne Vorwarnung sprang er auf den Dämon zu und begann auf ihn einzuprügeln.

Tarot öffnete die Augen für einen Moment und schüttelte den Kopf von Huan hin und her. Dann hob Tarot den Kopf und lauschte, es war still geworden draußen. Die Sonne war bereits aufgegangen. Jetzt war es nur eine Frage der Zeit, bis Huans Körper abschaltete. Dafür hörte er von Markus ein Schmatzen, er könnte in nächster Zeit aufwachen.

Tarot schloss wieder die Augen, es war keine Zeit zu verlieren.

Markus krachte gerade gegen eine der wabbligen Wände und spuckte sein imaginäres Blut. Als er sich wieder aufrappelte, kam er bereits etwas ins Schwanken. Müdigkeit durchfloss ihn und langsam schaltete der Geist ab, es wurde immer dunkler, die vielen kleinen Lämpchen gingen nacheinander aus. Nicht gut, dachte Markus bei sich und hielt Ausschau nach dem Dämon. Dieser war nicht zu übersehen in der Dunkelheit, seine Augen verrieten ihn.

Markus schlich sich erfolglos an, um dem Dämon in die Augen zu stechen. Es endete damit, dass der Dämon einen kräftigen Faustschlag zwischen die Augen bekam und Markus wieder durch die unbestimmte Dunkelheit flog. Im ersten Moment war er geblendet von dem Licht aus dem Riss, die warme Berührung der geflügelten Frau ließ ihn den Schmerz in den Augen sofort vergessen. Sie half ihm auf und Markus wollte ihre Hand schon fast nicht mehr loslassen. Von unten kamen auch keine Kampfgeräusche mehr.

Markus machte einen Schritt auf den leuchtenden Spalt zu und spürte sofort die angenehme Wärme, die dort herrschte. Er fühlte sich gleich viel lebendiger.

Die weiße Seide der Frau wurde mit roten Punkten besprenkelt, als Markus mit einem unterdrückten Schmerzenslaut auf die Knie ging. Der Dämon hatte eines seiner Hörner durch Markus‘ Brustkorb gerammt und brummte erneut: „Du bleibst hier!“

Erschrocken griff die „Fee“ einfach zu und zog an Markus Arm, ihre goldenen Augen flackerten auf, als der Dämon drohte mit in ihr „Reich“ zu gelangen. Letzlich zog sie Markus hinein, während er sich von dem Horn löste. Der Dämon prallte von einer unsichtbaren Barrierre ab, welche golden knisterte und ihn zurück in die Dunkelheit schleuderte.

Das helle Licht um Markus herum verschwand langsam, als seine Sinne abschalteten. Nur die Gedanken an einen Trip durch viele bunte Spiralen und unzählbare Feen blieben noch in seinem Kopf hängen, kombiniert mit dem Restalkohol seines neuen Körpers eine wahnsinnige Mischung…

Tarot erhob sich, blickte auf die Fingerspitzen seiner rechten Hand und kniff die Augen etwas zusammen, als er den schwarzen Fleck auf seinem weißen Handschuh betrachtete. Dann öffnete er vorsichtig die Tür und schaute auf Raziel, die dagegen lehnte und schlief. Mit einer sachten Berührung ihrer Schulter weckte er sie auf und meinte: „Er wird gleich erwachen, bring ihn zum schlafen und sortiere seine Gedanken. Er wird verwirrt sein.“

Raziel nickte müde und erhob sich, um in den Raum zu gehen.

Published inRollenspiel-Storys

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