Zum Inhalt

Dunkelheit und Licht

Ich starrte an die Decke. Es war schwer geworden, Schlaf zu finden. An der Couch lag es nicht, die war gemütlich. Hier in der Mietwohnung war es sogar verhältnismäßig sicher. Ich konnte mich eigentlich auch nicht über mangelnde Müdigkeit beschweren… was war nur los?

Du machst mich fertig, warum bist du so stark geworden?, ich schloss die Augen.

Ryuo blickte aus dem Fenster und antwortete mir nicht. Auch das war ungewöhnlich. Eine eisige Ruhe umgab ihn. Er hatte sich prächtig entwickelt. Ob die Jahre der Sorglosigkeit in Japan jetzt ihren Tribut forderten? Ich war mir nicht sicher. Was ist los?, stellte ich eine andere Frage, nur in meinem Kopf.

Ryuo steckte die Hände in die Hosentaschen, eine lässige Geste. Wir nahmen sie meist ein, wenn wir beobachteten und uns nicht sofort einmischen wollten. Eine Geste, das man über den Dingen stand. Er heckte irgendetwas aus. Schließlich drehte er den Kopf zu mir, ich konnte seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht sehen und seine Miene war tatsächlich ohne Ausdruck. Du siehst schlimm aus.

Ich bin totmüde und kann nicht schlafen. Nichtmal jetzt… ich bin wach und auch wieder nicht., genaugenommen war es eine Form der Meditation die ich hier veranstaltete, um mit meinem inneren Selbst zu kommunizieren… um Selbstgespräche zu führen. Aber es war irgendwie nicht erholsam.

Er schüttelte den Kopf und ging ein paar Schritte in meine Richtung: So wirst du es nicht schaffen.

Ich hob eine Augenbraue, noch immer die Augen geschlossen. Ryuo trat neben die Couch auf der ich lag. Wenn du zu müde bist, um dich zu konzentrieren, wirst du versagen… und Akio nichtmal zu Gesicht bekommen, sollte er tatsächlich dort sein. Sie werden dich vorher einsacken und fertig machen.

Meine Augen öffneten sich – und auch wieder nicht – und ich blickte ihn an. Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Ich dachte wir sind uns einig, das die Zeit knapp wird.

Schlafen., war Ryuos knappe Antwort. Es klang wie ein Befehl.

Ich schloss die Augen wieder und spürte ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen. Angespannt lag ich da und meinte dann: Es funktioniert nicht…

Als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich schwarze Fäden an Ryuo. Ich war mir nicht sicher, ob sie an ihm zogen oder er an ihnen – es waren drei Stück. Einer ging ins Bad, wo Jasmin sich gerade frisch machte. Der Zweite verlief parallel mit einem der Fäden, die mit mir verbunden waren – er war rot und ich wusste er würde in Japan enden. Aber was war der dritte Faden?

Immer muss man alles selber machen…, hörte ich Ryuo noch, bevor er seine Hand auf meine Stirn legte und ein Schmerz in meinem Kopf explodierte.

Mit aufgerissenen Augen und beiden Händen an den Schläfen war ich – jetzt wirklich wach – noch immer auf der Couch. Das reflexartige Aufschrecken hatte den Kopfschmerz nur verstärkt, sodass ich sofort wieder zurückgesunken war. Mein Körper fühlte sich taub an, als hätte der Schmerz hinter meiner Stirn noch ganz andere Sachen ausgelöst… ähnlich wie bei dem Stromstoß den ich damals von Michaels Tasergewehr abbekommen hatte… was war mit dem eigentlich passiert? Darüber sollte ich nachdenken, wenn ich weniger um die Ohren hatte.

„Alles in Ordnung, Teshi?“, hörte ich Jasmin aus dem Bad.

Ich brauchte ein paar gezwungen ruhige Atemzüge, bis ich ihr etwas heiser klingend antworten konnte: „Mach dir keine Sorgen, nur ein Alptraum…“

Wenn ich denn wenigstens geschlafen hätte! Ich versuchte wenigstens etwas positives aus dem Schmerz zu ziehen und griff nach dem Füller in meiner Hemdtasche. Mit einer beiläufigen Daumenbewegung schnippte ich den Deckel davon herunter und schrieb mit der linken Hand auf meinen rechten Oberarm das Kanji für ‚geöffnetes Auge‘. Ich konzentrierte mich und meine Sicht veränderte sich. Schicksalsfäden schwirrten umher, die meisten waren sehr blass und hatten nichts mit mir zutun oder ich konnte jetzt nicht verstehen wem sie gehörten und was sie bedeuteten – es interessierte mich auch gar nicht.

Auf der Suche nach den drei schwarzen Fäden, die mich treffen mussten wurde ich durch etwas ganz anderes abgelenkt. Da waren zwei goldene Fäden – die waren neu! Sicher, es war schon länger her, dass ich mir das angesehen hatte, aber die waren vorher nicht da gewesen… und sie führten nach draußen, etwa in die gleiche Richtung.

„Kopfschmerzen?“, Jasmin hatte den Raum betreten und ich ließ die Konzentration auf die Schicksalsfäden fallen. Es war wie aus Augenwinkeln – ich konnte nur noch kurz wahrnehmen das auch sie mit Fäden verknüpft war… aber ich war mir überhaupt nicht sicher, ob sie tatsächlich diese dunkle Verbindung zu mir hatte. Ryuo vernebelte mein fotografisches Gedächtnis.

Vorsichtig setzte ich mich auf, der Kopfschmerz verblasste langsam, aber es blieb ein unterschwelliger Druck übrig. „Ja, etwas…“

„Teshi Tokugawa, du glaubst doch nicht wirklich, wenn du sagst ‚Mach dir keine Sorgen‘, das ich mich damit zufrieden gebe.“

Ich blickte sie ernst an: „Wie konnte ich das nur vergessen.“

Dann holte ich die Sonnenbrille aus der Reisetasche und setzte sie auf.

Published inRollenspiel-Storys

Schreibe den ersten Kommentar

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert