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Adhen

Ich hörte wie Stoff auf Sand gerieben wurde, Anteriel verließ hastig in schnellen trampelnden Schritten die Hütte, durch eine mit einem Vorhang verdeckte Tür, und ich war wieder allein. Natürlich war ich allein, ich bin es immer gewesen, allein in meiner eigenen kleinen Welt, in der ich nie über meine Grenzen hinaus sehen musste.

Es war immer alles perfekt, vor allem als Raman hatte man die Möglichkeiten gehabt, die gegebenen Umstände nach seinen eigenen Wünschen zu gestallten. Zumal es nie mein Wunsch gewesen war, anders zu sein, ich wollte einfach nur etwas bewegen, aber nun musste ich mit den Konsequenzen leben können. Ich fühlte mich schwach, in meinen Gedanken ließ ich mich die schwache Lehmwand entlang nach unten sinken und wollte einen klaren Kopf bekommen. Ich wusste nicht, was als nächstes geschehen würde und noch weniger konnte ich mir erklären, warum ich nicht einfach diese Hütte verließ und meinen Weg fortsetzte…

Doch ich wusste es, wie war dieser lange Weg noch zu ertragen gewesen ohne den kleinen Menschen an meiner Seite zu wissen, ohne den Calas aus der Wüste, mit seiner besänftigen Art, dem beinahe unheimlichen Können, einem immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern?

Aber er war nicht mehr da, davon war ich überzeugt, diese seltsamen Menschen da draußen hatten ihn ziehen lassen, ich konnte es spüren. Ich wusste es einfach, es brauchte nicht einmal meiner übermenschlichen Sinne, um zu wissen, dass Anteriel fort war. Nur ein Tölpel wäre noch länger an der Seite eines verruchten Wesens durch die Wüste geirrt.

So saß ich also da, eingewickelt in meinen Umhang und betrachtete stumm, wie die letzten Tropfen Blut, aus der noch nicht vollkommen geheilten Wunde in meinem Mund, auf den Boden prallten und dabei ein schmerzendes Dröhnen in meinen Ohren verursachten.

Manchmal war es eine Qual über diese scharfen Sinne zu verfügen. Ich kann nicht mehr sagen, wie viel Zeit vergangen sein musste, in der ich wie benommen an der Wand lehnte und eigentlich über gar nichts nachdachte, bis ich von – noch recht weit entfernten – Schritten aufgeschreckt wurde. Ich konnte hören, wie sie auf die Hütte, in der ich saß, zukamen. Drei oder vier Personen, einer von ihnen ging etwas schwerfälliger als die Anderen und er hatte auch keine Sandalen an den Füßen wie seine Begleiter. Es roch plötzlich seltsam… nach Kräutern und Rauch.

Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, dann hätten diese seltsamen Kreaturen da draußen genauso gut Sintreas sein können, die mit ihrem Schamanen auf diese Hütte zukamen. Wohl um mich zu reinigen. Die Reinigung war ein ätzendes Ritual, eher zeitschindend als nützlich und diente einfach nur dem Zweck, einen Raman für eine gewisse Zeit zu binden um ihm ein paar Qualen zufügen zu können und ihn dann zurück in die verdorrten Landschaften seiner Heimat zu schicken, damit er seinen Brüdern eine Warnung aussprechen konnte.

Die Menschen hatten einfach den Respekt vor den gefallenen Engeln verloren. Mit einem wuchtigen Ruck wurde der Vorhang zum zweiten Mal in der Zeit, in der ich nun wach war, zur Seite gerissen und ich hörte das Scharren von Füßen im Sand, das Klappern einiger metallischen Gegenstände und wie sich die Menschen -wenn es denn welche waren- um mich herum postierten.

Ich hielt meine Augen geschlossen, es reichte mir deutlich den schweren Atem und das nervöse Schlagen des Herzens zu spüren, von diesem alten Mann, der da vor mir stand. Es war der Schamane, der sich mir wohl gegenüber aufgestellt hatte, und ich spürte seine durchdringenden Blicke. Ich ließ aus Trotz noch einige Sekunden verstreichen, bis ich meine Augen öffnete und unter dem Saum meiner Kapuze in das alte Gesicht emporblickte. Ich sah in die glasigen blauen Augen eines sehr alten Mannes, sein Gesicht war gezeichnet von der Zeit und in tiefe Falten gelegt. Sein graues Haar umrahmte es wie ein aufgezogener Vorhang, lang und offen trug er es. Einige Zöpfe baumelten an den Seiten herab und kleine Stofffetzen sollten wohl als Kopfschmuck dienen.

Die anderen Menschen -sie erweckten bei dem etwas helleren Licht in dieser Hütte, wieder eher den Eindruck eben dieser- standen nicht ganz so stolz und entschlossen vor mir. Ich konnte ihre Angst spüren, sie in ihren Augen sehen, aber an deren Augen war noch etwas, was mich wieder davon abhielt, sie für Menschen zu halten.

Es war nichts Menschliches in ihnen zu entdecken. Seltsam war, dass mir dies nicht in der Nacht zuvor aufgefallen war -oder war es überhaupt in der letzten Nacht? Ich hatte ja nicht einmal die Gelegenheit Anteriel zu fragen, wie lange ich geschlafen hatte-, es waren die Augen wilder Tiere. Gelb, erfüllt von einem schier unermesslichen Schmerz und Hass auf alles und jeden, was diese Welt bevölkerte.

Sie trugen allesamt Wolfsfelle, der Oberkiefer des Tieres lag wie eine Mütze auf ihren Häuptern und trotz ihrer mächtigen und muskulösen Körper, schienen sie tatsächlich Angst zu haben. Angst vor mir.
Der alte Mann trat einen Schritt an mich heran und legte etwas silbern Glänzendes vor mir ab. Es ähnelte einer Art Schüssel, jedoch bestand sie nur aus einer Halbkugel die an vier kleinen Ketten getragen wurde, welche dann am oberen Ende zu einer Schlaufe zusammenliefen. Außerdem hatte diese Schüssel Löcher, aus denen die ganze Zeit schon ein seltsam riechender Qualm zog.

„Sefelat…“ murmelte der Alte und einer der Wächter -ich ging davon aus, dass sie welche waren, aufgrund ihrer Kleidung und den Speeren in ihrer Hand- trat hinter den Alten, dann nahm er diesem sein Samttuch ab, welches er um den Hals und über den Schultern trug. Der, nach einem Bären aussehende, Wächter band es dem alten Mann um die Stirn und wickelte es bestimmt dreimal um, bis er es mit einem Knoten am Hinterkopf festigte. Mit einem langen Stock, den er vom Boden aufhob, kam der Schamane dann auf mein Gesicht zu und ich unterdrückte -wohl aus reiner Neugierde darauf was er vorhatte- den Impuls aufzuspringen und sie allesamt zu zerfleischen. Mein Blutdurst wurde bereits immer mächtiger und ich nahm kaum noch die Schmerzen hinter meiner Stirn wahr. Ich wollte töten.

Doch dann berührte der Stock meine Lippen und der Schamane versuchte meine Unterlippe mit sanfter Gewallt herunterzudrücken, zunächst verkrampfte ich meine Lippen, denn was hatte der schon mit diesem dreckigen Stock in meinem Mund zu suchen? Aber nachdem mir der Bär einen kräftigen Fußtritt zwischen die Rippen versetzte, gab ich nach.

Der Zeitpunkt des Kampfes war noch immer nicht gekommen.
Stillschweigend betrachtete der Alte mein Mundinneres, und auch keiner der anderen Anwesenden sagte irgendetwas, sie sahen mich nur schweigend an, doch man konnte ihre ansteigende Nervosität sehen. Sie klammerten sich immer fester an ihre Speere, so dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, jede Sekunde in meiner Gegenwart, musste eine Qual für sie sein… etwas das ich mir eventuell noch zu Nutzen machen konnte…

Nachdem der alte Mann wohl meine abgebrochenen Fänge lang genug betrachtet hatte, nahm er den Stock wieder aus meinem Mund heraus und übrig blieb ein sandiger Geschmack auf meiner Zunge, worauf mein Durst noch unerträglicher wurde.

Der Schamane nahm seine Schüssel an der Schlaufe wieder vom Boden und schwenkte sie einige Male vor meinem Gesicht auf und ab, der widerliche Qualm verteilte sich dabei genau vor meiner Nase. Es war ein Geruch nach würzigen Kräutern und nach verfaultem Obst. Wenn ich noch ein Mensch gewesen wäre, ich hätte einen Brechreiz unterdrücken müssen.

Dann endlich sprach der Alte, „Ohne deine Fänge wirst du uns nicht mehr schaden können! Man wird dir Wasser bringen um die Wunden auszuwaschen, daraufhin wirst du hergerichtet. Heute Abend wirst du uns als Opfer dienen, schon seit langer Zeit konnten wir Deterios kein so wertvolles Opfer mehr bringen. Dies wird eine gute Zeit für uns!“

Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, wollte er voraus gehen und die Hütte wieder verlassen, und wenn ich von diesen Worten nicht geschockt und zugleich verwirrt gewesen wäre, wäre dies der Augenblick gewesen, indem ich ihn angesprungen und einfach zerfleischt hätte.
Der Gedanke war gar nicht mal so übel, auch wenn er etwas alt gewesen wäre, hätte mir das Blut sicherlich gemundet und genügend Kraft gegeben, um auch mit seinen Begleitern fertig zu werden.

Stattdessen brachte ich nur ein leises Gurgeln hervor, ich war bereits völlig ausgetrocknet und außer meinem eigenen salzigen Blut, war keine Flüssigkeit mehr in meinem Mund.

Ich hob meinen Arm, ich wollte den seltsamen Menschen aufhalten, aber ich sah nur noch aus den Augenwinkeln, wie einer der Wächter an mich herantrat, dann explodierte auch schon ein weiterer Schmerz in meinem Nacken. Wieder trat die Nacht über mich herein.

Ich hörte das Summen von Bienen, das Plätschern und Rauschen eines Flusses, es duftete so herrlich nach Gräsern und den verschiedensten Blumen, dass ich noch eine Weile meine Augen geschlossen hielt und meine Nase gen Sonne reckte, die mir warm ins Gesicht schien.

Ich spürte wie Ameisen an meinen Beinen entlang krabbelten und wie der Wind angenehm über mich hinweg wehte. Es war lange her, dass ich mich so wohl gefühlt hatte… doch war es zugleich unmöglich.
Ich konnte solche Dinge nicht mehr spüren, ausgeschlossen, mein Herz war aus Eis, meine Seele verloren, meine Sinne zwar geschärft aber auf die wesentlichsten Dinge beschränkt.

Ich öffnete meine Augen und sah in den strahlend blauen Himmel und die Mittagssonne blendete mir direkt in die Augen.
Staunend darüber, dass ich keinerlei Schmerzen dabei empfand, hob ich den Kopf an. Ich sah an mir entlang und mein schwarzer Mantel war einem einfachen weißen Hemd und einer braunen Lederhose gewichen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das Wohlgefühl von eben verschwand wieder und eine Spur von Ratlosigkeit und Panik überkam mich, was in Lonas Namen ging hier vor?

Ich stand auf und ging mit wackeligen Schritten zum Fluss. Ich musste schnell feststellen, dass es ein Fehler war so abrupt aufzustehen, mir wurde schwindelig und ich fand in letzter Sekunde Halt an einem Felsen, der am Ufer des Flusses stand.

Zuerst betrachtete ich den Felsen und als ich die nähere Umgebung inspizierte und feststellte, dass ich mich in einer mir sehr vertrauten Umgebung befand, warf ich einen hastigen Blick auf mein Spiegelbild im Wasser.

Wieder grinste mir ein achtjähriger blonder Junge entgegen und ich wusste plötzlich, dass es wieder nur ein Traum sein konnte.
Ich lehnte mich gegen den Felsen und schloss meine Augen, es konnte nicht mehr lange dauern bis ich aufwachte, dies musste ein Grund sein aufzuwachen. Dann hörte ich Schritte hinter mir, doch diesmal drehte ich mich sehr viel hastiger um. Aber ich sah niemanden. Ich blickte nur weit in die Ferne, nahe dem Horizont konnte ich die Schemen von Häusern, sogar einem ganzen Dorf wahrnehmen. Ich fasste den Entschluss, dort hinüber zu gehen und mich endgültig davon zu überzeugen, dass ich nur träumte.

Denn dann würde dieses Dorf noch existieren, was aber schier unmöglich war, denn ich hatte vor sehr vielen Jahren selbst miterlebt, wie vor meinen Augen das ganze Dorf und meine Familie ausgelöscht wurden.
Bereits nach drei oder vier Schritten stolperte ich über etwas, ich wendete mich auf den Rücken, erschrocken sah ich in die Fratze eines Guras, als ich mein Hindernis begutachten wollte, dieser war drauf und dran gewesen, seine spitzen, dolchartigen Zähne in meinen Hals zu bohren. Dann riss ich die Augen auf.

Es herrschte nicht einmal mehr Zwielicht in der kleinen Hütte, in der mich die seltsamen Menschen gefangen hielten. Die Sonne musste bereits untergegangen sein, oder draußen war die Dämmerung soweit fortgeschritten, dass das Licht nicht mehr ausreichte, um durch den Vorhang in die Hütte zu dringen.

Noch ein wenig benommen, durch den Schlag in den Nacken, nahm ich meine Umgebung gar nicht richtig war, es war mir einfach nur klar, dass ich noch immer in der kleinen Lehmhütte saß und mein Rücken schmerzte. Ich war anscheinend im Schlaf die Lehmmauer entlang gerutscht und hatte mir dabei den Rücken verletzt. Die vielen kleinen Unebenheiten im Lehm und die Holzsplitter mussten viele kleine Wunden in meinen Rücken gerissen haben. Außerdem war diese Art zu schlafen nicht sonderlich bequem gewesen, ich spürte jeden einzelnen Knochen in meinem Körper.

Den Versuch mich aufzurichten, bereute ich sogleich auch wieder, denn in meinem Rücken und Nacken explodierte ein gewaltiger Schmerz. Ich konnte noch gerade einen Aufschrei unterdrücken, als ich auch schon wieder hellwach wurde.

Überrascht von einem Geräusch, einem Rascheln irgendwo in der hintersten Ecke der Hütte und einem Schatten, der sich vor mir zu bewegen schien, nahm ich all meine Kraftreserven zusammen und konzentrierte all meine Sinne auf meine Umgebung.

Nichts. Es war niemand da, aber ich hätte schwören können, dass ich etwas gesehen oder wenigstens gehört hatte. Doch ich wollte meine Energie nicht weiter darauf verschwenden und ließ mich wieder gegen die Wand sinken. Zunächst einmal war dies alles was ich tun konnte. Meine Kräfte hätten niemals ausgereicht, um es mit einer ganzen Horde dieser wilden Kreaturen aufzunehmen -so langsam verlor ich wirklich jeden Glauben daran, dass es sich bei diesen Kreaturen noch um Menschen handelte-, geschweige denn, nur mit einem von ihnen.

Meine Gedanken rasten. War dies nun das Ende? Sicher, ich wollte für mich ein Ende schaffen, aber nicht auf diese unwürdige Art und Weise. Ich wollte bis nach Igala vorstoßen, das ewige Eis noch ein letztes Mal erblicken, vielleicht auch noch einigen Sanetras begegnen und mir von den Eisnomaden das Eilfrosgebirge mit seinen Drachenhorten zeigen lassen. Und irgendwann, wenn meine innere Uhr es mir deutlich gemacht hätte, hätte ich den Weg in die eisigen Höhlen an der Küste zum Veneskameer eingeschlagen, dort wollte ich mir mein eisiges Grab bereiten.

Das wäre ein würdiges Ende für mich gewesen.

Auch wenn ich soviel Leid über die Welt gebracht hatte, so hatte ich mit Anteriel bereits viel Zeit damit verbracht, die Stadt der Magier und auch einige Dörfer entlang der Küsten wieder aufzubauen.

Ich wusste selber, dass ich dies niemals wiedergutmachen konnte, was ich der Welt angetan hatte, aber es war ein kläglicher Versuch, ein wenig meiner Schuld zu begleichen. Und nur aus diesem Grund wählte ich auch diesen Weg. Den Weg zu meinem eisigen Grab.

Aber es sollte ja alles anders kommen. Ich saß nun da in dieser Lehmhütte, umgeben von einem Stamm voller Wilder, ein gebrochenes und verstoßenes Wesen, kurz davor als Opfergabe für einen Gott zu dienen, den es mit Sicherheit nicht einmal gab.

Es war ein jämmerliches Schicksal, aber sollte mich damit wohl die gerechte Strafe erreichen.

Diesmal sah ich es ganz deutlich vor mir. Ein Schatten der sich im Zwielicht vom einen Ende der Hütte zum anderen bewegte. War ich bereits so schwach, dass ich die Präsenz eines anderen Wesens -wenn man so will, eines Tieres- nicht mehr wahrnahm?

Ich gab ein leises Stöhnen von mir, um dem Wesen deutlich zu machen, dass ich erwacht war, ich wollte einfach nur noch, dass diese Pein vorüber ging und mein Leben durch einen dieser Wilden beendet wurde.

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